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Ich denke, also bin ich

von Simon Salzl aka TwinYawgmoth

Teil 5 - Trang Ouls Triumph

Kapitel 15 - der Herr der Sünden

Ein Lachen wie zähflüssiger Teer blubbert aus dem Mumienkörper hervor, der dafür viel zu schlank wirkt.
»Wie ich schon bei unserem letzten Treffen bemerken musste, ist dein Golem viel zu schlau. Aber Schläue wird dir diesmal nicht helfen, Wurm. Du sitzt in der Falle!«
Unsere Skelette treffen auf seine und haben wenig Probleme, Stand zu halten. Der Meister ist allerdings vorsichtig und behält die Wächter nahe bei sich - das bedeutet, dass die mit Klingen bewaffneten regulären Krieger ihre Gegner nicht allzu schnell ausschalten können. Dafür sind wir sicher vor den Magiekugeln. Ich werfe einen fragenden Blick zu Seite, aber der Meister bewegt die Handfläche parallel zum Boden auf und ab, beschwichtigt mich, abzuwarten.
»Die Tür ist zu, ja, aber ich wäre ohnehin nicht gegangen, ohne dich vorher in den Staub zu treten. Wenn du schon so eine tolle Falle geplant hast, möchtest du mir verraten, warum genau das nicht unglaublich dumm von dir war? Jetzt bin ich hier, und du weißt, wie gut ich darin bin, Leute deines Schlages zu vernichten!«
»Selbstverständlich weiß ich das, und darum bist du auch hier«, spuckt Azmodan, und lässt seinen Worten Geschosse folgen. Die anderen Mumien stimmen ein, und für einen Moment ist nur eine Kakophonie aus Rauschen zu hören, als die magisch erzeugte Materie Luft verdrängt. Die Wächterschilde halten - noch.
»Denn ich werde dafür sorgen, dass du aufhörst, deine Talente zu verschwenden. Solche Macht - und du benutzt sie dafür, anderen zu helfen? Lächerlich - und auch noch verlogen. Verabscheuungswürdig. Du wehrst dich dagegen, aber bist jetzt schon unter der Fuchtel meines Bruders!«
Unwillkürlich fährt der Meister mit seinen frisch exponierten Fingern ein tief unter den Schuppen der Trang-Oul Rüstung liegendes Pentagrammmuster nach. »Red nur weiter, ist ja nicht so, als ob wir sonst etwas zu tun hätten. Und nein, das tut ihr nicht.« Beim letzten Wort des Meisters zerfetzt es ein gegnerisches Skelett in tödliche Splitter, gegen die wir zum Glück immun sind. Unsere Truppe hat also ein erstes Opfer zu verbuchen - und bevor die Mumien ihren Diener wiederbeleben konnten, hat der Meister die Leiche gesprengt. Wenn Azmodan vorhat, ihn abzulenken, ist ihm das bisher nicht gelungen.
Gleichzeitig lässt sich das niedere Übel eine mögliche Niederlage in dieser Hinsicht aber auch nicht anmerken und fährt fort. »Dir sollte wirklich klar sein, dass alles, was du tust, von fürchterlicher Heuchlerei gezeichnet ist. Du begehst Sünde um Sünde - und glaub mir, damit kenne ich mich aus! - und spielst den Helden. Lächerlich! Wie soll einer wie du der Retter Sanktuarios sein? Ein Mörder kaltesten Blutes. Was mir die Seelen deines grausamen Dolches so alles verraten haben ... weißt du überhaupt, wie viele es sind, oder hast du schon die Übersicht verloren?«
Für einen kurzen Moment ist der Meister still - und ich bemerke, wie ein gegnerische Skelett stürzt, eine Mumie hastig den Arm hebt und mit einem Leuchten gelber Funken der Krieger wie neu aufsteht, um unsere Reihen erneut zu bedrängen. Ja, Azmodan versucht hier definitiv, nur abzulenken. Sollten wir das Reden nicht auf später verschieben?

»Ich hatte keine Gelegenheit, zu zählen. Du hast ja jetzt die Kontrolle, also sag es mir doch«, gibt der Meister schließlich trocken zurück.
»Nimm das Jade-Tan-Do in die Hand und sie werden es dir gerne mitteilen. Oder wagst du es nicht, dich deinen Sünden zu stellen? Wenn du das nicht tust, wirst du mich niemals besiegen können, denn ich werde immer in dir sein!«
»Kannst ja dann mit deinem Bruder streiten. Idealerweise so lange, bis ich euch alle wieder zurück nach unten geschickt habe«, ätzt der Meister - und packt das Jade-Tan-Do. Für einen Augenblick schießen seine Augen durch den Raum. Während dieses Augenblicks wird wieder ein Skelett von den Mumien wiederbelebt statt von uns gesprengt. Lass dich doch nicht auch noch ablenken! Aber da fokussiert sich der Blick des Generals wieder, und er erwidert den von Azmodan. »Wie du siehst, bin ich mir meiner Sünden durchaus bewusst. Deswegen bin ich auch hier. Und so kann ich gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen - ein paar von ihnen wieder gutmachen, und dich vernichten.«
Beim letzten Satzteil flucht er Widerstandsschwund auf so viele Gegner, wie er kann. Langsam kenne ich ihn gut genug, deswegen bin ich schon einen Augenblick vor diesem Signal losgestürmt. Ich lasse meinen Feuerkörper zerlaufen, wabere als Flächenbrand zwischen den Beinen eines unserer Krieger hindurch und fahre als Flammensäule unter einem gegnerischen Skelett hoch. Knochen zerplatzen durch die Überhitzung, und die noch intakten zerfetzt es kurz darauf durch eine deutlich stärkere Kadaverexplosion. Die nächste Reihe von ihnen stolpert zurück, deutlich anfälliger gegen die Hitze der Detonation, und ich setze zusammen mit der Armee nach. Der Fluch wechselt zu Verstärktem Schaden, und die Schwerter unserer Recken sind auf einmal viel effektiver. Ich verliere ein wenig an Nutzen, aber bin ohnehin vor allem damit beschäftigt, Geschossen auszuweichen - wenn die treffen, tut es tatsächlich weh.
Azmodan ignoriert diese Entwicklung völlig. »Egal, was du heute vollbringen wirst, es ändert nichts an dem, was du bereits getan hast. Hör den Geistern nur gut zu, die dich umschwirren; lass dir erzählen von Kaelans Frau, die jetzt verwitwet ist und auf der Straße gelandet. Von Griez' unehelichem Sohn, den er dennoch aus ganzem Herzen liebte und unterstützte und den du zum Vollwaisen gemacht hast. Hier gibt es keine »Wiedergutmachung«, du Narr. Die Welt ist nicht so gerecht. Du hast diese Menschen dazu verdammt, von Kaa versklavt zu werden, sie haben bereits mehr gelitten, als ihnen ein normaler Tod je angetan hätte. Vernichte diesen Körper, und ihr Schmerz wird sie direkt in die Hölle treiben. Und all das, wirklich alles, ist deine Schuld!«
Ein sardonisches Grinsen blüht unter Trang-Ouls dunkelgoldenen Helm auf. »Wenn sie ohnehin unten gelandet wären, kann ich ja fast froh sein, dass ich ihren Weg verzögert habe. Erzähl mir nichts von Schmerz. Kaelan und Griez haben ihren Tod verdient.«
Das ... finde ich jetzt nicht wirklich unterstützenswert.

Bah, der Tod ist nie ein Verdienst. Jeder Mensch stirbt irgendwann, was soll an ein paar Jahren hin oder her jetzt eine besondere Strafe oder Belohnung sein? Frag mich einmal. Ich existiere seit hunderten von Jahren, und wenn jemand nach diesem General den alten Wälzer findet, meinetwegen in tausend weiteren Jahren, werde ich wieder da sein, vielleicht immer noch mit dir und dann noch einem dritten Naivling ohne Sinn und Verstand. Wenn hier jemand den Tod verdient hätte, dann ich!

Das ... ist deprimierend. Aber darauf wollte ich nicht einmal hinaus. Denk doch mal nach - wir wissen doch, dass die Seelen nur dann in Himmel oder Hölle landen, wenn sie unterbewusst glauben, es verdient zu haben? Und all jene, die speziell im Inferno gefoltert werden die sind, die es eigentlich am meisten bereuen, und meinen, diese Strafe ist genau richtig für sie?

Wenn du Azmodan hier glauben willst.

Und warum auch nicht? Dass sie so ihre besten Rekruten bekommen, nehme ich ihm sofort ab. Diese beiden armen Schweine ...

»Moment, Azmodan!«, werfe ich also ein. »Warum sollten sie in die Hölle kommen, wenn wir sie befreien? Du hast selbst gerade ihre Tugenden herausgestellt. Sicher haben sie auch Sünden begangen, ja. Aber meinst du nicht, sie wissen selbst sehr genau, dass ihre monatelange Gefangenschaft in Kaas Körper Strafe genug war, wie es jede Höllenfolter wäre?«
Eine direkt vom niederen Übel abgefeuerte Magiekugel trifft mich, und ich gerate für einen kurzen Moment in die unangenehme Situation, all meine Konzentration darauf verwenden zu müssen, nicht in einem Feuerball zu vergehen. Die vordrängenden Gegner, welche meine Schwäche spüren, helfen dabei natürlich nicht; ich ziehe mich für einen Moment zurück.
»Was hat Glaube damit zu tun?«, donnert Azmodan. »Sünden sind Sünden! Sich etwas anderes vorzumachen, ist mehr als lächerlich! Wie sehr die Menschen doch nach Entschuldigungen suchen ... sie sollten sich einfach eingestehen, wie sehr sie es lieben, einander weh zu tun. Statt Lüge auf Lüge zu schichten, um weiter ein sogenanntes reines Gewissen rechtfertigen zu können!« Durch meinen Fehler können die Feinde etwas vordringen. Zwei unserer Diener werden zerschmettert.
»Als ob du so ehrlich wärst!«, speie ich. Der Meister schnippt mit den Fingern, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. »Das ist vorerst genug. Komm wieder her.«
Ich tue wie geheißen, froh über die kurze Erholungspause - es ist nicht ohne Anstrengung, meine Körperform ständig neu zu gestalten, um den übergroßen Magiekugeln zu entgehen.
»Ich bin doch nicht mein Bruder, kleiner Golem. Nichts ist ehrlicher als die Sünde, denn was zeigt mehr das wahre Wesen eines Menschen als das, was er tut, wenn er, wie es immer so verlogen heißt, die Kontrolle verliert?«
Der Meister und ich wechseln einen vielsagenden Blick, auch wenn ich ihm nicht wirklich in die Augen sehen kann.

»Du lügst also nie, Azmodan? Was ist mit Natalya?«
Während der Meister die Diskussion weiterführt, welche hoffentlich auch unseren Widersache ablenkt, flüstere ich ihm zu: »Ich wäre wieder bereit, mich vorzukämpfen.« Ein knappes Nicken ist meine Antwort, und damit stürze ich mich erneut ins Getümmel. Schnell zerstöre ich ein Skelett, das sich zu weit vorgewagt hat, und sofort wird es zu unserem Diener; der Meister ist bei der Sache.
»Was soll mit deiner verstorbenen Assassinen-Gespielin sein?«
»Dass sie noch lebt, zum Einen.«
Ich packe den Arm eines zuschlagenden Skeletts, zerbreche den Knochen. Die Hand hält immer noch den rostigen Säbel, den ich auf den Schädel eines anderen herunterfahren lasse. Durch den Schadensfluch des Meisters zerbirst er wie eine Vase aus dem dritten Stock. Trotz der unendlichen Möglichkeiten zur Gestaltwandlung, die ich besitze - am intuitivsten scheint es mir immer noch, in humanoider Form zu kämpfen. So gehe ich in die Knie und fege mit einem Bein einen Gegner von den Füßen, haste nach vorne und zertrümmere sein Rückgrat noch bevor er auf dem Boden landet.

Eine Feuerschlinge, um Feinde umzuwerfen, wäre dennoch effektiver.

Dann hätte ich ihn aber nicht übers Knie brechen können. Deswegen ist es so einfacher - ich muss nicht ständig auch noch nachdenken, welche Form für die aktuelle Situation am besten ist, wenn ich genug Erfahrung mit der menschlichen habe. Dennoch ... es wird höchste Zeit, die Mumien auszuschalten ...

»Deine Fähigkeit zum Selbstbetrug ist wirklich erstaunlich, General«, antwortet Azmondan derweil, die Stimme triefend vor Selbstzufriedenheit. »Zumindest vorwerfen kannst du ihr ihren Tod nicht. Oder? Hättest du ihr sofort folgen sollen?« Ich strecke meine Arme auf jeweils gut zwei Meter, lasse meine Beine dafür verschwinden, weil ich mein Volumen erhalten muss. Meine Hände finden Halt in der Wand und um eine Säule, ich strecke mich und schieße nach vorne, katapultiere meinen Hauptkörper über die verdutzten Skelette hinweg. Die Mumie versucht, mich mit einer Magiekugel zu treffen, aber es ist zu spät. Der Feuerball, der ich bin, fliegt ihr gegen die Maske, und kurz darauf sinkt sie zu Boden.
»Der General weiß, wie wichtig unsere Mission ist! Er hat immer richtig gehandelt, auch wenn es schwer war!«, rufe ich trotzig.
»Ach ja, die Mission«, ätzt unser Widersacher. »Baal wollt ihr vernichten und seinen Seelenstein wie den der anderen beiden Großen Übel zerschmettern, sehe ich das richtig? Findest du das nicht ein wenig heuchlerisch, General?«

Was?

»Ich weiß nicht, wovon du redest«, sagt der Meister ruhig. Als Betonung sprengt er ein gegnerisches Skelett, was ein weiteres vernichtet, und sogleich folgt eine zweite Detonation. Das sollte ... ja, der Weg ist frei.
»Hast du nicht einst nur zu gern mit eben jenem Baal zusammengearbeitet, den du jetzt so edel zu vernichten suchst?«
Der Meister runzelt die Stirn. »Wäre mir jetzt neu.«
»Augen nach vorne, Azmodan! Deine Lügen lenken im Moment dich ein wenig zu sehr ab!«, ruft plötzlich der Zweite, wie schon lange in meiner Stimme - und wir schießen als Feuersäule nach oben, verschlingen die Mumie über uns, der wir uns plötzlich genähert haben, in einem Inferno.
Über ihrer schwelenden Leiche formen wir uns zurück zu einem menschlichen Körper. Faust schlägt gegen Handfläche.
»Irgendwelche letzten Worte, bevor wir dein Gesicht schmelzen?«

»Oh, nur zwei Dinge.« Azmodans Stimme fließt wie vergifteter Honig hinter seiner Gesichtsmaske hervor. »Erstens: Ich lüge nie, also lenk du nicht ab, mein kleiner Feuerteufel. Zweitens: Was meinst du, warum ich euch zuerst in den anderen Raum locken wollte?«
Ich fahre herum, ein sinnloser Reflex, wo ich doch einfach mein Sichtfeld ändern könnte, sehe, das der Meister das gleiche tut ... aber zu spät, denn da packen ihn zwei Mumien von hinten an jedem Arm. Die Tür, die sich vorhin hinter uns geschlossen hat, muss lautlos - oder leise genug, dass der Kampflärm es maskiert hat - aufgegangen sein. Verdammt!
Der Meister erstarrt, mit ihm die Armee; dann breitet sich ein hässliches Grinsen auf seinen Lippen aus. Oh, wie ich wünschte, dass ich jetzt seine Augen sehen könnte ...

»Aus der Tatsache, dass ich kein Paar langer Messer in meinem Rücken habe, schließe ich, dass du etwas von mir willst. Was ist es diesmal, Azmodan? Immer noch Zusammenarbeit, um die Hölle zu übernehmen?«
»Siehst du, diese geradezu ekelhafte Verschlagenheit macht dich doch erst so interessant.« Azmodan schnippt die Knochenfinger seiner freien Hand, was nicht schnalzt, sondern klackt, und deutet zur Seite. »Bevor wir aber zum Geschäftlichen kommen ... Golem, du wirst dich jetzt an diese Wand stellen, weit weg von mir und von ihm. Ich weiß, was passiert, wenn du vernichtet wirst, also bleib nur. Aber keine Dummheiten. Wir verhandeln hier vielleicht, aber ich führe. Pass auf!« Er hebt die Hand, zweimal leuchtet es hell auf, und die Mumien, die ich gerade getötet habe, stehen beide wieder auf. Der Meister blickt von einer zur anderen, öffnet kurz den Mund und schließt ihn wieder.
Azmodan gibt sein Krummschwert an die linke weiter und reibt sich die Hände. »Also, wie du korrekt festgestellt hast, möchte ich in aller Ruhe mit dir etwas besprechen, wozu wir letztes Mal keine wirkliche Gelegenheit hatten, weil dein nerviger Diener uns rüde unterbrochen hat. Es geht prinzipiell um das Gleiche: Ich will, dass du dich mir anschließt.«
»Es ist schön, begehrt zu sein«, gibt der Meister sarkastisch zurück. »He, wenn du schon wie unter zivilisierten Leuten verhandeln willst, magst du denen sagen, dass sie meine Arme freigeben sollen? Es fängt an, weh zu tun.«
Von meinem Standpunkt an der Wand kann Azmodan mich nicht allzu deutlich sehen, deswegen mache ich mir keine Sorgen, weil meine Augenbrauen dermaßen hoch wandern. Er hat sowas von einen Plan ... aber welchen? Beinhaltet das die Freigabe seiner Arme? Wenn ja, spielt er aber ganz schön hoch.
Azmodan lacht rumpelnd. »Deine Überheblichkeit hat wirklich nur zugenommen seit dem letzten Mal, als wir uns sahen. Ist es dein Sieg über Diablo, der dir diese Arroganz gibt? Oder hat dein Stolz so sehr gelitten, als du wegen mir deine Geliebte durchbohren musstest?«
»Im Gegenteil, Geringes Übel. Ich bin sogar sehr stolz auf die Entscheidung, die ich damals getroffen habe - wurde mir doch erst vor Kurzem bestätigt, dass Natalya noch lebt. Damit habe ich bereits zweimal über dich ganz persönlich gesiegt: Zunächst über deine Versuchung zur Sünde, und gerade eben, weil du der Lüge überführt wurdest.«
Azmodan wird kurz still. Dann beginnt er tonlos zu sprechen: »Wer könnte ...«
Er unterbricht sich. Und redet weiter, diesmal aber mit einem Lächeln in der Stimme, das man auf seiner ausdruckslosen weißen Maske natürlich nicht erkennen kann - aber ich bilde mir ein, dass es dem des Meisters exakt gleichen würde. »Es war Tyrael, nicht wahr?« Das tiefste Lachen bisher dringt aus seiner Kehle hervor, und diesmal ruft es mir ganz deutlich das Bild seines letzten Körpers ins Gedächtnis - eines ekelhaft hellgrünen Leichenspuckers, dieser grotesk geschwollenen, auch gesichtslosen Kreatur. Für einen Augenblick ist mir, als würde sein schlanker Mumienkörper durch etwas weitaus massigeres, einen Fleischberg mit zu vielen Beinen, ersetzt werden ... dann, endlich, verklingt sein fast minutenlanges Gelächter im Echo der engen Kammer. »Das ist zu köstlich. Er vertraut ... ha! Für diesen Moment pursten Amusements darfst du deine Arme befreit bekommen. Kannst sie gleich nutzen, um deine Skelettarmee zu vernichten.«
Als ob er dafür seine Arme brauchen würde ... aber je weniger Azmodan weiß, desto besser. Als die Mumien den Meister loslassen, winkt er zuerst einen Wächter zu sich, der sich so hinkniet, dass der Meister auf dessen Schild Platz nehmen kann. Dann lässt er seine ausgestreckte Hand mit großer Geste über die vor ihm verteilten Skelette gleiten, die dramatisch entlang der Bewegung zerfallen. Währenddessen landen die Schwerter der Mumien an seinem Hals; ganz sorglos ist Azmodan offenbar nicht. Im Gegensatz dazu, wie der Meister wirkt, der die andere Hand locker auf dem Jade-Tan-Do ruhen hat und den Rücken gegen die stützende Hand des verdrehten Wächters unter ihm lehnt. Das Metall nur Zentimeter von seiner Haut entfernt ignoriert er natürlich vollkommen.

»Ausgezeichnet«, bedankt er sich, immer noch mit ironieschwangerer Stimme. »So unterhält es sich doch viel besser. Meinen ... Witz ... bezüglich unseres geflügelten 'Freundes' ignorieren wir einfach mal, kommen wir zu wirklich wichtigen Themen: Was willst du von mir? Soll ich dafür sorgen, dass deine Seele zurück in die Hölle geht, mitkommen und dann dir helfen, dort die Macht zu übernehmen?«
»Oh, ich sehe, ich habe deine Schläue gerade fälschlich gelobt. Die Hölle ist für mich gestorben! Ganz alleine dir zu verdanken! Ich weiß nicht wie, aber dein verdammter Dolch hat mich hierher geschickt, aber meinen Bruder verschont. Jetzt ist Belial seit Wochen als einziges Übel dort unten - ich habe quasi keine Chance mehr, mich durchzusetzen. Nein, siehst du es nicht? Dass ich hier gelandet bin, ist im Gegenteil ein unglaublicher Glücksfall! Seit Jahrhunderten haben die Großen Übel daran gearbeitet, auf Sanktuario Fuß zu fassen, diese Welt zu übernehmen und von hier den Himmel zu erobern. Als sie es das letzte Mal versuchten, wurden sie hier eingesperrt und mussten lange daran arbeiten, ihre Macht zurückzugewinnen, wollten dann nur wieder zurück in die Hölle, um ihre Armeen zu sammeln. Jetzt bin ich hier, direkt aus der Hölle mit all meiner Macht intakt, diese Gräber, ja, die ganze Wüste ist voll willig dienender Untoten, von denen ich so einige in den letzten Wochen mit größter Ruhe und Genugtuung unter meine Kontrolle bringen konnte, ungestört von irgendwelchen Weltrettern oder gar Großen Übeln, die mir schon viel zu oft in die Suppe gespuckt haben. Baal kann meinetwegen irgendwelche esoterischen Pläne hegen, den Weltstein zu korrumpieren und böse Schwingungen oder was auch immer zu versenden, ich sage, in die ewige Vergessenheit mit solchen Plänen! Ich hole mir eine Horde seelenhungriger Untoter, hier und jetzt, und übernehme alles, ehe er sich versieht! Mag Belial die Hölle behalten - bis er einen Weg findet, von dort nach Sanktuario zu kommen, gehört mir längst die ganze Welt und der Himmel dazu!«
Der Meister starrt demonstrativ gelangweilt auf seine Fingernägel. »Fantastischer Plan. Und welche Rolle genau spiele ich darin?«
»Zwei Rollen. Erstens, du willst Baal töten? Herausragend. Ich auch. Er hat keinen Platz in meinem Plan. Niemand hat mehr Erfahrung darin, Große Übel zu vernichten als du. Zweitens: Ich brauche Anführer außer mir. Leute, an die ich Macht delegieren kann. Kein besserer General als der General selbst! Wie üblich mache ich dir nichts als fantastische Angebote. Du müsstest dafür nur eine Sache tun ...«
»Jetzt kommts«, schnaubt der Meister.
»Nimm das Jade-Tan-Do und stech es dir in die Brust. Deine Seele gehört dann mir. Das ist ein geringer Preis - wie ich dir gerade gezeigt habe, kann ich mit den Seelen, die mir durch Kaas Körper gehorchen, tun was ich will. Ich kann ihnen neue Körper geben - egal, welche. Diese Mumien sind nur ein Beispiel. Du siehst einen starken, schönen Menschen und wärst gerne er? Kein Problem! Töte ihn, ohne dass er allzuviel Schaden nimmt, und ich stecke deine Seele in seinen Körper. Du wirst nie altern! Durch die Bindung an mich kannst du gar nicht sterben - und weil ich hier bleibe, wirst du nie in die Hölle kommen, deine Seele sich nie durch die Last ihrer Sünden selbst foltern.«
Was meint er mit 'wie er demonstriert hat'?

Vielleicht hat er zwei der Seelen aus dem Kris, die ja nur der Meister sehen kann, in die Mumien gepackt?

Das gäbe natürlich Sinn.

»Selbstmord ist eine Sünde, mein Gutester«, witzelt der Meister. Dann wird er plötzlich eiskalt. »Gegenvorschlag. Du nennst mir einen wirklich guten Grund, warum ich das Jade-Tan-Do nicht hier und jetzt zu einem Eisengolem machen soll, sofort wieder vernichten und deine Seele damit wer-weiß-wohin schicken soll.«
Ah, das ist also der Plan.

... leider kein besonders guter.

Bevor ich den Zweiten fragen kann, warum, hat Azmodan schon geantwortet. »Und welchen Grund hast du, das nicht schon längst getan zu haben, General? Du hattest genug Gelegenheit dazu, noch bevor du zwei Schwerter an den Hals bekamst.«
Der Meister zuckt mit den Schultern. »Ich mag die Waffe. Also?«
Wieder dieses Lachen, das so gar nicht zu der Mumie passt. »Ein Glück, dass du es so siehst - was mich nicht überrascht! Genießt du es nicht auch, wenn deinen Opfern das Fleisch bei lebendigem Leib von den Knochen schmilzt? Kaa hier hat mir genug Beispiele aus der Zeit gezeigt, als der Kris noch ihm gehörte ... eine wahrhaft wunderbare Waffe. Du darfst sie sogar behalten. Aber du wolltest einen Grund hören, warum es eine gute Idee war, erst zu drohen, dann zu handeln? Ganz einfach - erstens wäre Kaa dir sicher sehr böse, wenn du seine seelenlose Existenz so beenden würdest. Du kennst dich da sicher besser aus, als ich - aber meine Theorie ist, dass die Vernichtung des Dolches den Seelenstein in ihm nutzlos machen würde. Das gleiche gälte dann für seinen Zwilling in Kaas Brust, welcher ihn gefangen hält, und damit würde er restlos verschwinden. Persönlichkeit gelöscht, Seele weg.«
»Und das interessiert mich weswegen genau ... ?«, fragt der Meister. Azmodan winkt ab. »Dass dir das egal ist, habe ich mir fast gedacht. Wäre nur eine wunderbare letzte Sünde, der Verrat an einem deiner treusten Diener. Weißt du, dass Kaa dich immer noch vergöttert, trotz allem, was du ihm angetan hast? Was für eine Verschwendung von Treue ... aber ich schweife ab. Nein, der eigentliche Grund, warum es dumm wäre, den Dolch zu zerstören ist, dass es mir überhaupt nichts ausmachen würde. Ich habe diesen Körper übernommen, wie es Diablo mit dem des Helden getan hat. Das Schicksal von Kaas Seele ist mir völlig egal. Im Gegenteil, du würdest mir wohl sogar einen Gefallen tun, wenn du ihn loswirst. Nur ... ich könnte dich dann nicht mehr mit absoluter Sicherheit an mich binden. Das Risiko wäre zu groß, dich am Leben zu lassen, auch wenn du mir noch so die Treue schwören solltest, also müsste ich dich töten. Und aus reiner Verachtung für deine Idiotie möglichst langsam. Noch eine gute Idee von deiner Seite, oder soll ich dir ein Ultimatum stellen, bis wann die Klinge endlich in deinem Herzen zu landen hat, bevor meine Diener anfangen, dir Körperteile abzuschneiden? Ich habe zwar keine besondere Eile, aber die doch eher entspannte Atmosphäre hier beginnt, mir auf die Nerven zu gehen.«
»Mir auch«, stellt der Meister fest. Dann reißt er plötzlich beide Arme hoch, streckt die Handflächen nach außen, und aus jeder von ihr explodiert ein Feuerball mitten in die Brust der ihn flankierenden Mumien. Er flucht, krallt seine verbrannten Hände zusammen, aber hat die Geistesgegenwart, beide Leichen schleunigst zu neuen Skeletten zu machen. Mit steifen Fingern versucht er, das Jade-Tan-Do wieder zu greifen.
»Du verdammter ...«, brüllt Azmodan und renkt dann den Kiefer seiner Maske aus, um sein Tripel an Magiekugeln zu spucken. Ich stürze nach vorne, rufe: »Weg da!«, der Meister muss aufhören, sich auf den Dolch zu konzentrieren ... aber schon lösen sich die tödlichen Stachelkugeln aus dem Schlund der Mumie ... Zwei bandagierte Hände blocken je eines der Geschosse. Das dritte saust knapp am Kopf des Meisters vorbei. Ein Krummschwert klappert zu Boden; die Mumie, die das von Azmodan bekommen hat, hat es fallen gelassen. Beide wieder erweckten stehen jetzt bewegungslos da, nachdem sie die Magiekugeln aufgehalten haben.
»Ihr wagt es ...«, schreit ihr nur scheinbarer Gebieter, da erreicht mich die Stimme des Meisters.
»Die Handschuhe, Dorelem!«
Ich war ohnehin in Bewegung, das ändert nur ganz leicht die Richtung. Mein Arm streckt sich zur Seite, ich packe das Schwert vom Boden, reiße es hoch und mit etwas Unterstützung vom Zweiten, der in solchen Angelegenheit immer noch besser ist als ich, schlage ich mit einem Streich beide Hände der großen Mumie ab, in derem Körper Azmodan haust.
Er schreit auf, beugt sich nach vorne und speit eine Säurewolke, aber ich bin schon weg, fließe in einer Feuerpfütze über den Boden nach hinten, arbeite derweil mit zwei darin geformten Händen daran, die Mumienfinger aus den dunkelgoldenen Kettenhandschuhen zu entfernen. Der Zweite tut das gleiche an einem anderen Teil meines Körpers.
Als wir beim Meister sind, sind die Handschuhe frei. Er streckt mir die Hände entgegen; sie sehen fürchterlich aus, die Haut ist schwer gerötet, da, wo sie sich nicht schon zurück geschält hat.
»Zieh sie mir an!«, ruft er.
»Was? Aber deine ...«, werfe ich ein, aber er gestikuliert noch dringlicher, und widersprechen kann ich ohnehin nicht. Widerwillig versuche ich zumindest vorsichtig zu sein, aber er rammt seine Finger einfach hinein, ohne einen Laut; einzig seine krampfhaft zusammengepressten Zähne und die gespannten Muskeln an seinem Hals verraten die Schmerzen, unter denen er stehen muss.
Doch da glättet sich sein Ausdruck. Er hebt den Blick; ich folge ihm.
Azmodan hat mit seinen Armstümpfen die beiden rebellischen Mumien zur Seite gestoßen und ragt drohend auf. »Ich hätte dir nie ein großzügiges Angebot machen sollen! Du wertloser Wurm wirst dir noch lange wünschen, dich mir angeschlossen zu haben!«
»Ach, Azmodan, ich bin einfach zu gierig. Du hast mir den kleinen Finger hingestreckt, ich habe mir die ganze Hand genommen. Grüß deinen Bruder schön von mir.«
Was hat er ...

Der Meister hält beide Händflächen nach vorne ... oder versucht es zumindest; seine zitternden Finger werden nicht ganz gerade. Azmodan öffnet den Mund, um seine tödlichen Magiekugeln zu spucken ... was machen die Wächter?
Plötzlich schießt eine Wand aus Feuer vom Boden unter Azmodan hoch, den ganzen Raum durchstreckend. Völlig geschockt stolpere ich zurück. Von einem gellenden Schrei begleitet, der das ganze Grab zu erschüttern scheint, geht die trockene Mumie lichterloh in Flammen auf.
Ich spüre, wie der Zweite etwas aufhebt; vor lauter Überraschung habe ich gar nicht gemerkt, dass er die Kontrolle übernommen hat. Aber ich kann nicht wirklich protestieren. Unsere Hand schließt sich um die des Meisters; er zuckt nicht zurück. Da sehe ich, wie sich aus der brennenden Mumie ein Phantom erhebt. Es ist ein fürchterlich dürrer Mann mit tief eingefallenen Augen, schütterem, zerrauften Haar und fast konkaver Brust; die Hände sind knorrig wie die eines Greises, das Gesicht ist von Pockennarben übersät ... aber der Ausdruck darauf einer purster Verzückung.
Die rasch zu Asche zerfallenden Binden um die Brust der Mumie lösen sich, und zwischen ihren durch dämonische Magie verzerrten Rippen leuchtet ein Juwel auf, leicht zur Seite versetzt ...
Das Phantom spricht mit heiserer, aber hingebungsvoller Stimme. »Ich danke Euch, Meister ...«
Da erlischt das Glühen des Juwels und der Geist zerplatzt. In meiner Hand wird es kurz warm; und da erst merke ich, dass der Zweite das Jade-Tan-Do gegen unsere und die des Meisters gepresst hat.

Ruhe in Frieden, Kaa. Du beneidenswerter Bastard.

Was redest du da, Zweiter?

... was meinst du? Ich habe mich gerade gefragt, ob der Seelenstein im Dolch die Vernichtung seines Zwillings überlebt hat. Vielleicht kann er immer noch Seelen stehlen!

Und was ist mit ... ach, vergiss es! Ich habe ganz andere Fragen!

»Was zur Hölle hast du gerade getan?«, bringe ich hervor. Der Meister lässt sich Zeit mit der Antwort, senkt erst langsam die Hände und blickt die Kettenschützer darüber mit unlesbarem Ausdruck an. Endlich fängt er sich.
»Ich schätze, das war eine Feuerwand.«
»Ja, das hätte ich mir auch zusammenreimen können!«
Er grinst spöttisch. »Lass dich doch ein wenig aufziehen. War eigentlich wie mit den Feuerbällen auch - ich dachte mir he, das müsste eigentlich funktionieren. Und es hat funktioniert. Sogar ohne, dass ich mich dabei halb selbst in die Luft gehen lasse. Oh, wo wir schon dabei sind ... das tut verdammt weh, wenn ich es recht bedenke ...«
Er fummelt etwas hilflos an seinem Gürtel herum. Etwas entnerft schubse ich seine Hand weg, pule einen Heiltrank hervor, entstöpsle die Flasche und gebe sie ihm.

»Vielleicht solltest du nächstes Mal die Handschuhe ausziehen für sowas«, rüge ich ihn, während er trinkt. Immer noch mit ihnen an den Fingern wischt er sich den Mund. Und schweigt. Mit unlesbarem Ausdruck starrt er auf sein viertes Setteil, dreht sie hin und her im Licht, das ich darauf scheine.
»Hm, das ist nicht so gut«, murmelt er. Ich runzle besorgt die Stirn. »Was ist los?«
»Ich glaube, die Haut ist etwas zu vernarbt. Ich kann die Finger nicht mehr ganz ausstrecken. Alles ein wenig steif.«
Das schockt mich, als hätte es meine eigenen Hände erwischt. »Himmel, das ist schrecklich!«
Er zuckt mit den Schultern. »Ach, als ob ich die so oft brauchen würde. Lass mal kurz los ...«
Der Zweite gibt ihm das Jade-Tan-Do; der Griff des Meisters schließt sich darum.
»Na also. Alles kein Problem.«
»Aber ...«
»Es sind meine Hände, oder? Mach dir keinen Kopf, Dorelem.Wir haben jetzt auch noch ein paar andere Dinge zu besprechen. Ihr beide ... warum habt ihr mich gerettet?«
Er sieht die beiden Mumien an, welche Azmodan vorher wiederbelebt hat und die ihn dennoch verraten haben. Sie stehen jetzt zu uns gewandt und nicht mehr steif, aber passiv da.

»Kaelan und Griez, nicht wahr?«, flüstert der Zweite. Sie haben ihn wohl trotzdem gehört und nicken.
»Verstehe ich nicht ganz«, sagt der Meister. »Ich meine, ich habe euch umgebracht!«
Die Untoten reagieren nicht. Ich lege ihrem Mörder eine Hand auf die Schulter. »Ich wage zu behaupten, dass Freiheit von Kaa und Azmodan schwerer wiegt als Hass auf dich. Und vielleicht auch die Freiheit der ganzen Welt vor dem Joch der Hölle, hm?«
Jetzt nicken sie, wirken ein wenig erleichtert, dass ich in Worte fassen konnte, was sie mit ihrem verfaulten Körper nicht konnten.
Unter der Schädelmaske verzieht der Meister den Mund. »Na, soll mir Recht sein. Und jetzt?«
Kaelan und Griez sehen einander an, scheinen stille Unterhaltung zu führen, deren Inhalt uns verschlossen bleibt. Ich versuche es erneut.
»Ihr wollt ganz frei sein, oder? Denkt ihr, es würde helfen, wenn wir eure untoten Körper vernichten?«
Zögerliches Nicken von einer von ihnen, wer der beiden es auch immer ist.
Ein Grinsen vom Meister. »Gut! Dann eben noch einmal, was beim ersten Mal offenbar nicht ganz gezogen hat. Sagte ich doch, ihr habt den Tod verdient!«
»General!«, rufe ich entrüstet. »Sie haben dir das Leben gerettet!«
Der Blick leerer Augenhöhlen landet auf mir, und ich spüre Verachtung. Unwillkürlich zucke ich zurück.
»Ich hätte es auch ohne sie geschafft. Haltet still, das ist eine gute Übung.«
Wieder blüht die Feuerwand auf, wieder verbrennen Mumien. Ich halte das Jade-Tan-Do nicht mehr, also kann ich nicht sehen, was mit ihren Seelen geschieht ... sind sie froh, ihrem Gefängnis entkommen zu sein? Nehmen sie dem Meister seine letzte Bemerkung so übel wie ich das tue? Sie haben mehr als gebüßt ...

»Ruht in Frieden, Griez und Kaelan«, flüstere ich, und erst danach merke ich, dass ich das gleiche gesagt habe wie der Zweite zu Kaa.
Eine gute Erinnerung. Bevor er eine Bemerkung zu meinem Abschiedswunsch machen kann, sehe ich ihm fest in die Augen. »General, was Azmodan gesagt hat, macht mir Sorgen. Und Kaa hat es auch noch bestätigt. Was hat das zu bedeuten? Du bist Kaas Meister?«
»Ist das nicht offensichtlich, Dorelem?«, fragt er. »Zweiter, Kaa war ein Diener des alten Generals, nicht wahr?«

»Ja«. Er war der erste, an dem mein alter Meister seine Technologie zur Seelenspeicherung getestet hat. Der Plan war, zwei verbundene Seelensteine als Rückversicherung gegen den Tod zu nutzen: Einer im Dolch, einer im Herzen Kaas. Sollte Kaa sterben, war die Theorie, würde seine Seele in den Dolch wandern; wenn dann die Waffe irgendwann dazu benutzt würde, ein Leben zu nehmen, könnte Kaas Seele den Körper des Ermordeten übernehmen und ihn so wiederauferstehen lassen.«

»Aber dabei ist etwas schief gegangen«, vermutet der Meister.

»Genau. Kaas Seele wurde vom Seelenstein in seiner Brust verschluckt und er dadurch zur leeren Hülle. Zum ... relativen ... Glück für ihn wirkte der Dolch nun in die umgekehrte Richtung und konnte die Seelen der damit Getöteten an Kaa weitergeben. So war es ihm möglich, eine halbwegs normale Existenz zu führen, indem er tötete und die gestohlene Seele mit seiner Persönlichkeit füllte. Dies war aber nie perfekt, und über kurz oder lang brannte er die fremden Seelen buchstäblich aus. So musste er wieder töten, was ihn keine Reue kostete, denn er hatte ja keine Seele ...«

»Himmel ...«, hauche ich. Der Meister nickt. »Das erklärt Einiges. Also hat er statt Zwillingssteinen einen anderen Plan verfolgt ...«

»Exakt. Dass ein so kleiner Stein dennoch eine ganze menschliche Seele restlos aufsaugen kann, hat ihr wahres Potential verraten. Viele von ihnen sollten die Seele so verteilen können, dass sie nicht für immer in einem von ihnen verschwindet ... und so war es dann auch.«

Der Meister reibt die Ornamente an den Knöcheln von Trang-Ouls Handschuhen; es ist klar, was sich unter ihnen befindet. »Das hat aber eine ganze Menge Seelensteine verlangt. Woher bekam er die? Hat es etwa mit gewissen ... Verbindungen zu tun?«

»Worauf wollt Ihr hinaus, Meister?«

»Stell dich nicht blöd!«, donnert der Meister plötzlich. »Azmodan hat mich, sicherlich auch von Kaa beeinflusst, angesprochen als wäre ich der alte General. Und der hat angeblich Baal gedient. Also?«

»Es tut mir Leid, Meister. Ja, das ist richtig. Mein alter Meister hat sich offen Baal angeschlossen und für seine Unterstützung des Großen Übels so viele Seelensteine erhalten, wie er für das Trang-Ouls Set benötigt hat.«

»Und das ist dir bisher als nicht erwähnenswert erschienen?«, schreie ich den Zweiten an.

»Niemand hat mich gefragt, was wie eine lahme Entschuldigung klingt - aber ich erinnere mich ziemlich gut daran, dass sowohl du, Erster, als auch Ihr, Meister, des Öfteren bei Erwähnung der Untaten meines alten Meisters meintet, gar nicht mehr erfahren zu wollen. Gerne kann ich Euch mehr darlegen, wenn Ihr dies wünscht. Ich werde selbstverständlich jegliche Frage offen beantworten.«

»Du verdammte Ratte ...«, beginne ich, aber der Meister schneidet mich ab.
»Es ist gut, Dorelem. Den Zweiten trifft keine Schuld, und woran auch? Das Wissen, dass mein Vorgänger in Diensten der Hölle stand überrascht mich nicht im Geringsten, dich etwa?«
»... nicht wirklich«, muss ich kleinlaut zugeben.
»Na also, dann gibt es hier doch gar keinen Diskussionsbedarf mehr. Und hier sind wir auch fertig, die Gräber sind ruhig, der Seelenfresser ist tot, meine Schulden sind beglichen. Azmodan ist wieder in der Hölle und kann sich da mit Belial streiten, was mir hervorragend in den Kram passt. Alles in Allem ein mehr als erfolgreicher halber Tag Verzögerung ... Deckard und sein Gehetze immer.« Während seiner Aufzählung reibt er sich weiter die nun immer ein wenig verkrümmten Hände, was überdeutlich den Teil unserer fragwürdigen Errungenschaften betont, den er nicht erwähnt.

Bald darauf sind wir zurück in Lut Gholein. Der General marschiert in Atmas Taverne ein, wo die Besitzerin ihm sofort mit besorgtem Gesichtsausdruck entgegenläuft.
»General! Ist alles in Ordnung?«
»Alles bestens, Atma, danke der Nachfrage. Wo ist Deckard?«
»Er schläft. Ich soll ihn sofort aufwecken, wenn du ankommst ...«
Der Meister nickt. »Dann tu das. Ich habe erledigt, was zu erledigen war.«
»Das ist schön«, sagt sie mit warmen Lächeln. Dann wird ihr Ausdruck ernster. »Aber du scheinst etwas zu vergessen.«
Er legt den Kopf schief ... und ich klopfe ihm kurz auf den Helm. Sie lächelt mir aufmunternd zu.
»Oh«, brummt der Meister und setzt Trang-Ouls Verkleidung ab. »Na gut.«
»Die Handschuhe auch, General! Behalt meinetwegen die Rüstung. Ich komme gleich wieder.«

Sie eilt los. Der General starrt eine Weile auf seine Hände, ohne Anstalten zu machen, sie von dem goldenen Kettenschutz zu befreien. Stattdessen legt er sie auf den Helm und blickt für einen Moment in die leeren Augenhöhlen.
»Weißt du, Dorelem? Du hattest von Anfang an Recht«, sagt er plötzlich, in einer Stimme, die in Traurigkeit ertrinkt.
Eine eisige Faust umklammert mein Herz. Nach einer kurzen Pause spricht er weiter, ganz leise.
»Dieses Set ... es macht mir Angst. Je mehr Teile davon ich trage, desto schwieriger wird es, eines von ihnen auszuziehen.«
»... du trägst die Handschuhe noch, General«, flüstere ich zurück.
»Die anderen müssen jetzt kein Drama wegen meiner Hände anfangen«, sagt er schnell. Ich trete ihm gegenüber und sehe ihm in die endlich sichtbaren Augen. »Bist du dir sicher, dass das der Grund ist ... oder willst du sie nur nicht ablegen?«
»Himmel, ich weiß es nicht, Dorelem. Manchmal kommt es mir in letzter Zeit vor, als wäre ich nicht mehr komplett Herr meiner Sinne. Merkt man etwas davon?«
Ich presse meine Hände in verzweifeltem Stoßgebet zusammen. Himmel, er merkt es! Mit großen Augen nicke ich schwer.
»Scheiße.«
Er packt den verfluchten Helm mit beiden Händen, starrt ihm in die Augenhöhlen. »Vielleicht hätte ich das wirklich nie tun sollen.«
»Wie bist du überhaupt auf diese Idee gekommen?«, stoße ich hervor.
Schritte nähern sich aus dem oberen Stockwerk. Langsam, viel zu langsam für den kurzen Moment, den wir noch alleine haben, sieht er mich an. »Die Antwort liegt in dir, Dorelem.«

Du ... du hast ihn ...

Er wollte es wissen. Ich habe ihn nur in die richtige Richtung gewiesen.

Wegen dir ... verdammt!

»General ... du musst dieses verfluchte Seelengefängnis aufgeben!«
Sein Blick ist unendlich traurig, und schon bevor er zu sprechen beginnt, weiß ich, was er sagen wird.
»Ich fürchte, dafür ist es etwas zu spät. Es tut mir Leid. Adieu, Dorelem.«
Er setzt sich den Helm auf. Etwas an seiner Pose ändert sich.
Er hat seine Unsicherheit verloren. Seine Zweifel verloren.
Wir haben ... ihn verloren.


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