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Ich denke, also bin ich

von Simon Salzl aka TwinYawgmoth

Teil 1 - Tönerne Taufe

Kapitel 07: Konfrontation

Der Meister hat meine Gegenwart nicht vermisst, auch wenn ich mich etwas schuldig fühle. Was wäre geschehen, wenn einer der roten Teufel doch noch gelebt und sich auf den Meister gestürzt hätte?
Den Skeletten ist nicht zu trauen. Ich sollte mir wichtige Gedankengänge lieber aufheben, bis der Meister schläft.

Er selbst ist damit beschäftigt, seine Skelette herumzukommandieren. ... Ich gehe langsam auf den Meister zu und stelle mich schräg hinter ihn.

»Aha!«
Ein Skelett hat ihm gerade einen kleinen Metallring hingehalten.

»Das hab ich gehofft. Bei einem Zauberer und hohem Tier wie ihm ist das bestimmt kein wertloser Krimskrams. Sonst noch irgendjemand was?«
Keiner meldet sich. Dann hebt sich eine Knochenhand mit einem Gürtel, der darumgeschlungen ist.

»Lass sehen. Hm. Ich hab noch keinen, aber der ist halt furchtbar dreckig ... GOLEM!«
Ich tippe ihm auf die Schulter. Er fährt zusammen.

»Bist du wahnsinnig, mich so zu erschrecken! Was machst du dahinten überhaupt! Warum machst du dich nicht nützlich? Jetzt nimm das Ding endlich und mach es nicht noch schmutziger!«
Wenn ich jetzt sprechen könnte, würde ich ihm mal was erzählen. ...
Ich beschließe, meine neu entdeckte Freiheit etwas spielen zu lassen.

Meine Mundwinkel verziehen sich indigniert nach unten und ich verschränke die Arme.

Wie komme ich jetzt auf so etwas! Eine derart rebellische Haltung gegenüber dem Meister einzunehmen grenzt doch wohl an Gotteslästerung, ganz abgesehen davon ist es sicher unklug, er kann mich doch sicher mit einem Gedanken auslöschen!
Ich beruhige meine zaghaften Gedanken. Geistige Freiheit nützt gar nichts, es ist die körperliche, auf die es ankommt. Selbstverständlich bin ich wie ein Sklave für den Meister, und ich bin soweit mit meiner Rolle nicht allzu unzufrieden - ich wurde geschaffen, um zu dienen. Aber ich will und werde mich nicht ungerecht behandeln lassen, nicht einmal vom Meister persönlich.

Dem Meister sinkt der Unterkiefer herab. Er tritt einen Schritt zurück.

Plötzlich erkenne ich es - er hat Angst vor mir! Er denkt, dass ich jetzt gegen ihn aufgebehren werde. Er hebt langsam eine Hand und öffnet seinen Mund.

»J-Jetzt pass mal gut auf. Ich bin hier der Boss. Hast du mich verstanden? Ich will, dass du meine Befehle befolgst und nicht rumzickst. Du sollst gefälligst machen, was ich dir sage. HAST DU MICH VERSTANDEN?«

Seine Stimme ist außerordentlich schrill geworden und den letzten Teil brüllt er.

»Wenn du dich nicht benimmst, werde ich den Skeletten sagen, dass sie dich in Stücke hacken sollen. Kleine Stücke! Hast du mich verstanden!«

Ich nicke, aber ich runzle die Stirn dabei. Braucht er denn dafür die Skelette? Es müssen doch seine Gedanken sein, die meine erdige Form zusammenhalten. Kann er das nicht einfach aufgeben und mich zu einem Klumpen Blumenerde reduzieren? Kann er das etwa gar nicht?
Ich bewege meine Arme keinen Millimeter.

Der Meister scheint den Tränen nahe.

»Du bist mein Geschöpf! Du musst mir gehorchen! Ich habe dich erschaffen! Warum weigerst du dich? Was ist los?«
Sei ein bisschen höflicher, und die Sache ist aus der Welt geschafft, will ich ihm sagen. Ich kann es nicht. Ich warte.

»BITTE! Gehorch mir wieder! Du bist mein erster Golem! Ich darf bei dir nichts falsch machen! Ich kann nicht scheitern! Du musst es verstehen! Du kannst es! BITTE!«

Er schluchzt jetzt tätsächlich. Tränen fließen über sein Gesicht. Mir wird erst jetzt bewusst, wie jung er nach menschlichen Maßstäben eigentlich aussieht. Er ist höchstens vor sechzehn Jahren geboren worden.
Ich beginne zu verstehen. Natürlich bin ich sein erster Golem, natürlich muss ich ihm gehorchen. Täte ich es nicht, wäre er bei jedem weiterem seiner Golems unsicher, ob es wirklich die Diener sind, die sie sein sollen. Vielleicht wäre sein Ruf als Totenbeschwörer ruiniert. Vielleicht er selbst auch - wer weiß, welche Konsequenzen ein Scheitern hätte. Totenbeschwörer lassen sich meist mit schwarzer Magie ein, sagt meine Erinnerung. Mein Meister als Versager - ein Opfer von Dämonen? Schlimmer, ein Diener des Bösen hier auf Erden? Diener des Herrn des Schreckens persönlich?
Wer?
Meine Erinnerung versagt. Ich weiß, dass da etwas ist, aber ich kann meinen Finger nicht darauf legen.
Unwichtig. Der Meister hat recht. Ich kann es verstehen. Ich habe es verstanden. Ich nicke ihm zu und nehme den Gürtel.

Aber soweit es mich betrifft, ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen - und der letzte Gedanke noch nicht gedacht.


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