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Ich denke, also bin ich

von Simon Salzl aka TwinYawgmoth

Teil 5 - Trang Ouls Triumph

Kapitel 39 - der Herr der Zerstörung

Die Kammer des Weltsteins ist wie der Rest des Turms: schlicht, aber nicht schmucklos. Der Raum ist regelmäßig gefließt, die komplexen Muster der oberen Stockwerke wiederholen sich auch hier. Aufwändig gemeißelte Säulen halten eine niedrige Decke. Aber nur bis zum zentralen Punkt, wo die Decke verschwindet, um dem gewaltigen Kristall selbst Platz zu lassen. Der Grundriss des Raumes besteht in etwa aus fünf Quadraten, einem zentralen und zwei symmetrischen links und rechts davon; wir sind im rechten aufgetaucht, wenn der Weltstein als vor dem zentralen betrachtet wird. Der Stein wächst aus einem Abgrund, der gut und gerne bis in die Mitte der Welt reichen könnte. Ein paar schnelle Schritte an die Seite des Quadrates, auf dem wir uns gerade befinden, und ich kann in den Abgrund blicken - Geländer gibt es keine; es ist kein Boden sichtbar.
Vom zentralen Quadrat aus führt eine mit dicken Ketten von den Säulen aus gehaltene Brücke zu einer an der Brücke selbst aufgehängten etwas größeren Plattform, direkt vor dem Weltstein. Dessen mehrere zerklüftete Spitzen sind darüber gerade noch sichtbar, langsam in beunruhigendem Rot pulsierend.
Davor steht Baal, mit dem Rücken zur Brücke und damit der Seite zu uns, und lässt mehrere Tentakel, die aus seinem grotesken Körper wuchern, über den Stein wandern. Wo sie ihn berühren, erblüht ein tieferes Purpur, wie beim Drücken auf eine frische Prellung.
Baal wirft uns ein Grinsen zu, das seine Haut noch mehr über den verzerrten Schädel spannt. "Warum hast du denn deine Armee mitgenommen, General? Hast du Angst, wenn du nicht möglichst viele Händchen zum Halten hast?"
"Eurer rechten Hand auf Sanktuario gebührt eine Ehrengarde", entgegnet mein Freund trocken.
"Nun, dann lass sie nur Spalier stehen, während du zu mir kommst. Wir haben viel zu besprechen, aber noch ist meine Werk hier nicht ganz abgeschlossen. Du wirst dich etwas gedulden müssen." Baal wendet sich ab.
Der Blick meines Freundes wandert den Weg entlang, den er gehen oder schweben muss. Über dieses Quadrat, das nächste, zum mittleren, die Brücke entlang ...
Er winkt mich zu sich.
"Du nimmt den direkten Weg", murmelt er und deutet auf den von seiner Arbeit abgelenkten Herrn der Zerstörung - über den Abgrund hinweg.
Ich verstehe.
Und laufe los.
Kurz bevor ich über den Rand zu einem langen Fall trete, entsteht eine Knochenbrücke über der bodenlosen Leere. Meine Steinfüße donnern in vollem Sprint darauf hinab, aber ich vertraue meinem Freund, und sie hält Stand. Langsam sieht Baal wieder vom Weltstein auf, aber erst, als ich schon den höchsten Punkt der Brücke erreicht habe. Sein Grinsen wird noch breiter, so breit, dass sich seine Unterlippe spaltet. Tentakel peitschen nach vorne ...
Ich springe.
Viel höher, als er erwartet hat, ganz offenbar. Die Kraft des Arreat fließt durch mich; der Berg schenkt mir alles, was er noch hat, um diesen Parasiten zu entfernen!
Ich falle, und für einen Moment umgibt mich das orange Glühen des Verstärkten Schadens, dann bin ich durch dies, und treffe auf, und nur eine Sekunde später lande ich auf der Plattform. Baal zerbirst. Seine aufgeblasene Hülle verteilt sich durch den Aufprall meines Steinkörpers überall um mich, überzieht mich mit klebrigem Schleim, der mich tatsächlich schmerzt wie eine leichte Verbrennung. Aber am ganzen Körper.
Doch was für ein geringer Preis ist dies? Ich kann es nicht glauben - wir haben gesiegt! Einfach so, in diesem kurzen Moment unsere Mission ...
Rumpelndes Lachen erfüllt die Kammer des Weltsteins.
Ach, das kann doch nicht wahr sein.
Ich muss klar sehen. Konzentriere mich, spanne etwas in mir an, und stoße die äußere Steinschicht, die mich umgibt, ab wie eine Schlange beim Häuten. Und da sehe ich klar - das, worin ich gelandet bin, sah zwar aus wie Baal. Aber was jetzt am Boden verteilt ist, ist nur eine zuckende Masse aus Tentakeln, die nur überzogen war von einer dünnen Schicht Haut.
Da richten sich die zerfetzt da liegenden Tentakel auf einmal wieder auf - nein, neue wachsen aus dem Boden, was natürlich nicht gehen kann, da unterhalb der Plattform kein Boden ist ... dennoch schlingen sie sich um mich, und mein verschlankter Körper bringt nicht schnell genug ausreichend Kraft aus, um den Griff der fleischigen Auswüchse zu brechen.
In einem dunklen Blitz erscheint der möglicherweise echte Baal wenige Meter von meinem Freund entfernt.
"Du dachtest wirklich, dass du mich so einfach loswerden könntest, General?", höhnt die Kreatur.
"Es war einen Versuch wert", zuckt mein Freund mit den Schultern. "Ich hatte nicht einmal erwartet, dass du blöd genug wärst, mich überhaupt so nahe an dich heranzulassen."
"Wo du doch so einleuchtende Argumente erbracht hast! Du hast doch völlig Recht, dass ich dich brauchen kann", schleimt Baal. "Nur weder als Assistent noch Diener, sondern als Sklave. Für alles andere bist du viel zu aufmüpfig."
"Und da deine Diener zu schwach waren, nimmst du die Sache eben doch selbst in die Hand?"
"Viel besser! Deine Bindung an Belial ist nämlich in der Tat ziemlich lästig. Aber ich habe die Lösung doch genau hier."
Er verschwindet und taucht vor dem Weltstein wieder auf, gleich hinter mir. Seine Tentakel beginnen wieder, den Stein beinahe sanft zu streicheln.
"Das hier ist nicht als ein gigantischer Seelenstein, dessen Potential völlig verschwendet wird, wenn man kleine Stücke davon abbricht, um einzelne Seelen zu fangen. Nein ... was ich in wenigen Minuten in den Händen halten werde, ist ein Seelenstein, mit dem man die ganze Welt einschließen kann!"
Mein Freund schwebt langsam näher, die Armee eng um ihn. "Du willst jeden einzelnen Menschen, dessen Seele durch den Tod frei wird, im Weltstein gefangen nehmen?"
"Natürlich nicht, so groß wie der Weltstein ist, hat er keinen Platz für absolut jede Seele auf Sanktuario. Aber genug für jeden, der gleichzeitig stirbt, wenn ich die Seelen dann sofort weiter verarbeite. Zum Beispiel zu Dienern für meine Armee. Jeder, der beim verzweifelten Versuch, sich ihr entgegen zu stellen, fällt, wird sofort rekrutiert! Und wenn Sanktuario erst komplett mir gehört, bis hin zu letzten Wesen, das einmal darauf gelebt hat ... dann ist wieder Platz. Für größere Seelen. Für Engelseelen.
Du siehst, General ... ich hätte dich nie gebraucht. Du bist einzig hier, um meinen Seelenmagneten zu testen."
"Ein Fehler in deinem Plan", erklärt mein Freund.
Baal teleportiert sich hinter ihn und lächelt großmütig, als er einen Tentakel über die Armee streckt, um ihn dem Menschen über die Schulter zu schlingen. "Ach? Bist du so gut, mir ihn zu verraten?"
"Du kannst den Weltstein nicht vollständig übernehmen, während du mit mir kämpfst. Und wenn du gewinnst, dann nur über meine Leiche - also verlierst du meine Seele."
"Betrüblich", lacht Baal, und zieht den Tentakel zusammen - aber mein Freund jagt einen Knochenspeer hindurch, was die Spitze kraftlos zucken lässt. Er packt sie, wirft sie inmitten der Skelette, und sie ziehen daran. Baal stolpert einen Schritt nach vorne, direkt auf einen Feuerkreis am Boden, der einen Meteor ankündigt ...
Seine Augen weiten sich, er reißt sich den eigenen Tentakel aus der Schulter und teleportiert in eine andere Ecke des Raumes. Der Meteor schlägt flammend ein, wo er nicht mehr steht.
"Du würdest lieber Belial dienen als mir?", keift er.
"Ich diene einzig der Menschheit", erklärt mein Freund ruhig.
"Du hast ein seltsames Verständnis von Dienerschaft, General!"
"Ich bin nicht der General."
Baal hält kurz inne, dann forciert er ein Grinsen. "Natürlich. Er hat es doch nicht geschafft, die Seele seines neuen Körpers zu übernehmen ... unglaublich. Verliert sich gegen einen grünen Träumer wie dich. Und wer zum Himmel bist du überhaupt, mich herauszufordern?"
"Der General war ein größeres Monster als du jemals sein könntest, Baal. Seine Herrschaft war eine absolute, gefestigt durch puren Terror. Er kontrollierte die Seelen der Menschen, ohne selbst je mehr zu sein als ein Mensch. Sieh dich an, du jämmerliche Kreatur - alles, was du kannst, ist zerstören. Und dann brauchst du die Hilfe des absolut mächtigsten Gegenstandes auf ganz Sanktuario, um daraus mehr zu gewinnen als Asche. Und selbst dann, wenn du den Himmel geschleift hast und nichts bleibt außer eine Armee versklavter, willenloser Seelen, was ist dein Ziel? Das Nichts? Lächerlich. Die Herrschaft des Generals hätte eine ewige sein können, wenn er Erfolg gehabt hätte. Aber das hatte er nicht, weil wir ihn gestoppt haben, Dorelem und ich. Nach diesem Sieg bist du nichts weiter als eine Made, die wir zerschmettern werden. Er, mein treuer Freund, und ich - Purasol, der Lichtbringer!"
PulRalSol - die Runen für "Erleuchtung". Nah genug dran. Natürlich, sehr theatralisch. Überheblich. Also ein perfekter Name für meinen Freund.
Baal lacht - und verschwindet. Sein rumpelndes Kichern hallt weiter.
"Dann erleuchte dich mal ..."
Er taucht direkt vor mir auf. "Den brauchst du nicht mehr, oder?"
Seine Arme schießen vor und werden plötzlich viel länger, spitzer, zielen auf meine Brust ...
Und prallen ab.
"Was ist das? Du bist nur Stein!", brüllt das Monster.
"Ich bin der Arm des Arreat", erkläre ich. Und zerreiße die Tentakel, die mich halten. "Du bist hier unerwünscht."
Mein Hieb geht ins Leere, als Baal sich wieder weg teleportiert. Als ich nach ihm Ausschau halte, wünsche ich mir kurz, ich wäre noch zu zweit in mir - Dorelem ... oder der Zweite ... ? könnte jetzt unseren Feind suchen, und der andere wäre bereit, sich zu verteidigen. Aber was denke ich da? Das war immer nur ich. Also kann ich es jetzt auch. Ich muss nur ein wenig umdenken. Vielleicht etwas die falsche Situation. Aber in Krisen improvisieren konnte ich ... oder Dorelem ... also ich ... ja schon immer.
Nein, das kann ich jetzt wirklich nicht brauchen. Baal ist wieder in der Nähe Purasols aufgetaucht, also setze ich mich dorthin in Bewegung.
"Bleib bei mir!", ruft Purasol. "Wenn wir uns trennen, kann er uns einzeln angreifen!"
Doch was bedeutet "einzeln" in diesem Fall? Sobald Purasol Baal gefunden hat, stürzt sich die Hälfte der Armee auf ihn. Die restlichen Skelette bleiben in engem Kordon um ihn, als Schutz und flexible Angriffskraft. Denn schon wieder ist Baal woanders, und der Totenbeschwörer schickt ihm wieder einen Teil der Armee hinterher.
Dann teleportiert er sich dorthin, wo die Armee jetzt eine Schwachstelle hat ...
Seine vorschießenden Tentakel prallen gegen eine Knochenwand.
"Dachtest du, das merke ich nicht?", höhnt Purasol. Ein Gefängnis aus Stoßzähnen wächst aus dem Boden um den Herrn der Zerstörung. "Koste von der Medizin deines Bruders!"
Skelette stürzen sich auf das Monster. Knüppel und Säbel graben sich in die überspannte Haut, lassen schleimiges längst-nicht-mehr-Blut zu Boden tropfen.
Baal sondert ein ekelhaftes Röhren ab, und plötzlich entfahren ihm Feuerbälle in alle Richtungen. Manche der Skelette sind so nah an ihm, dass sie von mehreren auf einmal getroffen werden; sie zerspringen. Purasol erwischt einer, aber er scheint harmlos genug an der Rüstung zu zerspringen ... dennoch krümmt er sich unter Schmerzen zusammen. Gerade noch weiche ich einem aus; ich sehe, dass es nicht nur Feuer ist, sondern so etwas wie schwarze Energie, die um den Flammenkern züngelt. Das muss die Macht des Weltsteins sein!
Das Knochengefängnis ist gebrochen, und Baal teleportiert wieder. Taucht hinter mir auf, der immer noch nicht bei Purasol angekommen ist - diesmal packt mich ein Tentakel am Fuß, reißt mich hoch ...
Und lässt mich wieder fallen. Baal starrt auf den Altern-Fluch über seinem Kopf.
"Und deine eigene Medizin!", ätzt Purasol weiter. "Von Mephisto habe ich nichts gelernt! Er war zu schwach!"
Ich springe auf und stürze mich auf Baal ...
Da klascht er in die Hände und eine V-förmige Welle purer Kälte geht von ihm aus. Die Temperatur sollte mir egal sein, aber sie dringt mir trotzdem in die nicht vorhandenen Knochen, dennoch ist es noch schlimmer, was für eine pure Gewalt von der Welle ausgeht. Wie eine echte, meterhohe am Strand reißt sie mich von den Füßen, mit sich mit, ich überschlage mich und lande weit von Baal entfernt. Etwas splittert, und ich hoffe, es ist nur der Boden. Mühsam zwinge ich mich hoch.
Wieder sind Skelette bei Baal angekommen, zumindest die, welche die Welle umgangen haben; die in ihr gefangenen sind an der Wand zersplittert, da sie viel leichter sind als ich. Baal erleidet weitere Wunden, aber es sind jetzt wenig genug Skelette, dass er sie einzeln packen und vernichten kann. Zwei schmettert er aneinander, und Purasol hat nur noch ein paar Wächter um sich.
Ich erreiche ihn endlich. "Tut mir Leid, seine Magie ist schwer nur mit Fäusten zu bekämpfen."
Er nickt knapp. "Das ist schon in Ordnung. Dafür habe ich umso mehr. Gib mir deine Hände."
Ich tue wie geheißen, er legt seine in meine, und Feuer entspringt ihnen, auf mich über, und es ist Teil von mir. "Jetzt kannst du zurück schießen!"
"Mit Freude!", grinse ich. Baal ist wieder wo anders, aber ich sehe ihn schneller als Purasol, und werfe einen Feuerball. Er trifft den Herrn der Zerstörung, als er gerade wieder zaubern will, bringt ihn aus dem Konzept - und zum Lachen.
"Ist das alles, du Klumpen?"
Meinen zweiten Schuss ignoriert er, und die Feuernova explodiert wieder. Purasol errichtet eine Knochenwand vor sich, aber ich werde getroffen. Jetzt verstehe ich seinen Schmerz. Es ist wie Peitschenhiebe direkt auf meine Seele. Aber ganz ehrlich? Da habe ich schon Schlimmeres erlebt.
Gut so, denn Baal teleportiert sich vor mich, hebt eine Hand, die enorm in die Breite wuchert - und ich kann ausweichen, habe sein Höllenfeuer viel schneller abgeschüttelt, als er dachte. Er zischt, da durchbohrt ihm ein Knochenspeer die Schulter. Ein Schrei, und er ist wieder weg, hinter Purasol ...
"Da!", rufe ich deutend, und er vertraut mir blind, schwebt auf seinen Knochengeistern weg, dreht sich mühelos in der Luft und schießt erneut einen Speer ab, der Baals grausige Flüssigkeiten weiter im Raum verteilt.
Meine Feuerbälle und die der Skelettmagier stoßen in die gleiche Wunde. Er ist ein Fleischberg, aber wir setzen ihm gut zu! Langsam aber sicher, glaube ich, spürt er richtig, was wir ihm antun.
Wieder ist er weg. Aber wohin?
Ganz dort hinten im Raum! So kann er aber nicht ...
Tentakel wachsen überall um uns aus dem Boden. Manche unter Skeletten, welche in den Abgrund um den Weltstein geschleudert werden. Einer versucht, mich zu packen, aber ich bin zu schwer und zerreiße ihn stattdessen. Purasol weicht hektisch aus, aber weil er schwebt, schafft er das auch. Da trifft ihn ein Hieb von hinten, zerschmettert seine Knochenrüstung, und er stolpert fast - fast! - zu Boden.
Wieder ist Baal da, Tentakel um ihn herum. "Du hast keine Chance, Mensch! Ich bin überall, ich bin alles, ich bin - die Welt!", brüllt er.
Ein Feuerball alleine wird nicht genügen ...
Also muss ich zu härteren Mitteln greifen. Meine Faust bricht glatt am Handgelenk ab, wird aber noch von den Flammen um sie gehalten. Bis diese Flammen losfliegen, mit dem geballten Steinklumpen darin, und Baal direkt ins Gesicht treffen. Er stolpert schwer getroffen zurück.
"Sehr gut, Dorelem!" Purasol zaubert eine Feuerwand, ein Knochengefängnis und einen Meteor dazu. Ich sehe, was ich schon lange nicht mehr bemerkt habe: die Schweißtropfen in seinem Gesicht - er hat kaum noch Mana. Aber Baals Tentakel vergehen in der Feuerwand, er entkommt der Falle nicht, und da landet der Meteor!
Baal zerbirst!
"Ja!", schreie ich, doch da schießt Purasols Hand hoch. "Er lebt noch!"
"Aber wie ... ", sage ich, da ist Baal auf einmal direkt vor mir, und die Eiswelle trifft mich mit voller Gewalt. Ich weiß nicht mehr, wo oben und unten sind, vielleicht sind sie überall gleichzeitig ...
Etwas hilft meinem Gleichgewicht auf die Beine.
Ich bin immer noch in der Luft - und kurz davor, über den Rand des Abgrundes zu fallen.
Gerade noch schaffe ich es, mich mit meiner einen Hand an selbigem Rand festzuhalten. Wer hat mir geholfen? Warst du das, Arreat? Oh, vielen Dank! Ich bin dir gerade so nah, wie ich sein möchte, der Weg in deine Tiefen ist mir doch zu lang! Baal erscheint über mir.
"Du bist lästig, aber jetzt ist es vorbei! Versteht ihr nicht? Ich kann beliebig viele Abbilder von mir erzeugen, und sie sind nicht schwächer als ich selbst! Jedes von ihnen erhält ein Fragment einer Seele, die ich aus dem Weltstein absauge - sie sind wie meine Golems! Aber völlig unter meiner Kontrolle! Im Gegensatz zu dir fehlerhaftem Exemplar ..."
"Ich weiß, dass sie eine Seele haben!", ruft Purasol da, und gerade, als Baal mich hinunter treten will, fällt ihm plötzlich etwas in den Rücken.
Ich stemme mich hoch, und setze einen eigenen mächtigen Faustschlag dazu, der Fleisch zerbersten und Knochen zersplittern lässt, dann sehe ich, was mir geholfen hat: es ist Baals Abbild, das Purasol gerade durch den Meteor zerstört hat - wiederbelebt, auf unserer Seite!
"Was im Leben beseelt war, gehört im Tode mir!", erklärt der Totenbeschwörer. Mit einem leichten Keuchen in der Stimme - das muss ihm trotzdem viel Energie gekostet haben. Aber jetzt ist Baal in einer tödlichen Umarmung seiner eigenen Tentakel gefangen. Noch ein Hieb von mir, und er stolpert auf eines seiner Knie.
"Nein!", brüllt er da, und das Feuer geht von ihm aus, und ich bin viel zu nah.
Diesmal kann ich die Agonie nicht ignorieren. Jede Faser meines Seins brennt wie in Säure getränkt. Ich bin paralysiert, bleibe reglos zitternd stehen, für einen viel zu langen Moment kann ich meinen Körper nicht kontrollieren, als wäre er nicht mehr als eine leblose, seelenlose Statue ...
Der wiederbelebte Baal vergeht zu Staub. Dem echten rinnt der Schleim aus vielen Löchern ... aber er kann immer noch zaubern ... und teleportiert sich ... neben Purasol.
Der knurrt, und mit größter Anstrengung hebt er die Hände, will Baal aus nächster Nähe einen Feuerball ins Gesicht setzen, es funktioniert sogar, Baals Kopf wird zurückgeworfen ... aber kommt mit einem Lächeln wieder hoch.
Und Purasol schreit laut auf. Seine Knochengeister erlöschen, die neu gezauberte Rüstung zerbirst, er fällt die Boden wie eine fadenlose Marionette.
Über seinem Kopf ein Fluch, den ich noch nie gesehen habe: spitze Nägel aus dunkelroter Energie, die sich scheinbar in sein Hirn bohren.
Baal packt ihm am Hals, reißt ihm den Helm vom Kopf, und ich sehe, wie seine Nase schwer blutet.
"Versuch doch, noch etwas zu zaubern!", höhnt Baal. "Das ist Blut-Mana! Von jetzt an zauberst du mit deiner Lebenskraft!" Er hält ihn sich direkt vor sein versengtes, zerschnittenes, triefendes Gesicht, das dadurch nur verbessert wurde. "Ich habe dich zerstört!"
Langsam finde ich wieder zu mir. Hast du nicht ... weder ihn noch mich. Ein Schritt. Noch einer ... es ist nicht so schlimm, verdammt, Dorelem! Du kannst nicht mehr darauf hoffen, dass der Zweite schon übernimmt, oder dass der hoffnungslose Idealist in dir dich aufbaut! Peitsch dich selbst, geh weiter! Es geht um alles! Baal ist selbst so schwach ... Tentakel um mich herum. Eine tödliche Umarmung. Ich kann mich nicht mehr bewegen. Nein! Ich spüre, sie sind überwindbar, wenn ich mich anstrenge, aber es ist ein Kampf ... der zu lange dauern wird! Arreat! Hilf uns!
Aber der Berg hat schon alles gegeben, was er kann ...
"Jetzt sag mir, Purasol ... wie fühlst du dich in diesen letzten Momenten? In dem Wissen, dass alles, was du getan hast, völlig umsonst war? Wie tragisch, kurz vor dem Ziel zu scheitern!"
Purasol hustet, spuckt Baal rot an, und beginnt zu lachen. Bis er weiter hustet, als der Tentakel um seinen Hals sich weiter zuzieht.
"Was ist so lustig, hm?", will der Herr der Zerstörung wissen.
"Wie blöd bist du eigentlich?", grinst Purasol. "Du bist wenige Zentimeter von mir entfernt. Und schwer angeschlagen. Ein Knochenspeer, eine Feuerwand, zur Hölle, ein feuchter Furz könnte dich töten!"
Baal grinst zurück. "Bist auf Letzteres würde dich das aber auch töten!"
"Na und?"
Baals Grinsen vergeht. "Du hast keine Garantie, dass ich wirklich an deinem einen Zauber, den du hast, sterbe."
"Oh, davon gehe ich mit absoluter Sicherheit aus."
"Selbst wenn du mich auch tötest - deine Seele gehört dann Belial statt mir! Entkommen kannst du dem Griff der Hölle ohnehin nicht!"
"Pah, ich hab mächtige Freunde im Himmel. Die würden mich doch nicht hängen lassen. Selbst wenn - ich war schon in der Hölle. Hab ordentlich aufgeräumt. Könnte ich wieder."
"Wir werden deine Seele bis in alle Ewigkeit foltern! Nur für dich werden wir uns neue Qualen ausdenken, jeden Tag! Die ganze Hölle wird nur damit beschäftigt sein, dir allergrößte Agonie zu bereiten!"
Purasols Augen werden kurz traurig. "Ach, vielleicht habe ich das auch irgendwo verdient. Aber vielleicht wiegt das Bewusstsein, Sanktuario gerettet zu haben, das ja ein wenig auf."
Baal wird langsam verzweifelt. Man sieht es in seinem Blick, hört es in seiner Stimme. Er ist wirklich kurz davor, selbst zu sterben; Purasol hat völlig Recht ... noch ein Zauber ...
Oder ...
Ich zerreiße endlich den richtigen Tentakel.
Lande schwer auf dem Boden.
Baal hört mich.
Aber dreht sich nicht um, lässt sich nicht ablenken. Stattdessen hat er eine Erleuchtung.
"Purasol! Dein Golem stirbt, wenn du dich opferst! Würdest du sein Leben nehmen, das an deines gebunden ist?"
Ich halte inne. Das ist tatsächlich eine schwierige Frage. Also, rein prinzipiell. Ich meine, ich bin endlich frei. Seit fast einem halben Jahrhundert das erste Mal ich selbst. Und das noch nicht lange. Kann ich das wirklich einfach so wegwerfen? Überhaupt - die größte Schande ist doch, dass ich es nicht einmal bin, der es wegwirft. Letztlich wäre das Purasol. Mein Meister. Seine Entscheidung über meine Existenz.
Wie immer.
Bin ich also wirklich frei? Hab ich mir das immer nur eingebildet?
Sollte ich nicht doch das weiterhin tun, was ich seit der ersten Sekunde meiner Existenz getan habe: versuchen, weiter zu existieren - weil ich das all denen, die vor mir kamen, doch irgendwie schuldig bin?
Da sieht Purasol mich an, und beantwortet all meine Fragen.
"Soll ich?", krächzt er.
Es ist meine Entscheidung.
Und ich treffe sie ohne auch nur eine Sekunde weiter darüber nachzudenken.
"Bring ihn zum Licht, mein Freund!", rufe ich mit einem wilden Grinsen auf den Steinlippen.
"Nein!", brüllt Baal, als Purasol etwas zaubert, sich in dem Griff des Großen Übels krümmt, als die Nadeln in sein Hirn dringen ...
... und nichts passiert.
Baal blickt nach oben.
Über seinem Kopf tanzen die gelben Fäden der Eisernen Jungfrau.
Ein langsames Grinsen breitet sich auf seiner Fratze aus.
"So hast du meinen Bruder getötet, nicht wahr?"
Er schüttelt Purasol - der noch am Leben ist. Natürlich. Ich ja auch.
"Dachtest, ein Fluch kostet dich nicht viel, und einen zerschmetterten Körper hast du letztes mal ja auch irgendwie überlebt, hm?"
Er schüttelt noch ein wenig, offenbar aber vorsichtig, um Purasol nicht zu verletzen.
"Aber weißt du was? Ich kenne mich mit Flüchen auch aus. Wenn ich Zauber gegen dich benutze, passiert mir überhaupt nichts!"
"Einen Versuch war es wert ...", haucht Purasol. "Tut mir Leid, Dorelem."
Ich sacke zusammen.
"Du hättest es nicht für mich tun sollen ..."
"Doch, gerade darum war es das wert."
"Rührend", schnarrt Baal. "Brenne in der Hölle!"
"Du zuerst", schnappt Purasol - und grinst. Als Baals Feuerring in ihn fährt. Machtlos stolpere ich noch einen Schritt vor - als die Schwärze meine Sicht überfällt ...
Und Baals Kopf explodiert.
Ein Kopf, über den Purasol vor einer halben Sekunde Blut-Mana geflucht hat.
Die Schwärze versucht, mich zu verschlingen, aber irgendwie, wundersamerweise, schafft sie es nicht ganz. Das heißt doch - ja, ja! Er lebt noch! Ich weiß nicht wie, aber er lebt!
"Du wunderbarer Mensch!", rufe ich, krieche voran, kaum in der Lage, mich überhaupt noch zu bewegen. "Du größter Held! Du hast es geschafft! Du hast sie alle getötet - alle Übel! Himmel, ich bin so stolz auf dich!"
Natürlich hört er mich nicht, liegt auf dem Rücken, von Baal fast sanft in die Pfütze grausiger Körperflüssigkeiten des aufgedunsenen Übelkörpers fallen gelassen. Das selige Lächeln des sicheren Sieges ist immer noch auf seinen Lippen.
"Komm, Purasol, ich öffne uns ein Stadtportal, und Malah wird dich dann ..."
Ich halte kurz inne.
"... nachdem ich erklärt habe, was dir widerfahren ist, sicherlich verstehen sie das, müssen sie, wir haben Baal getötet, Himmel, ich plappere ja wie ein Schulkind ..."
Endlich finde ich die Rolle an seinem Gürtel. "Komm, mein Freund, lass uns verschwinden. Die Barbaren haben viel zu säubern, aber wir haben uns Ruhe verdient, lange Ruhe ..."
Ich überlege, wie ich ihn am besten trage. Vorsichtig, falls Baal doch zugegriffen hat, sein Hals gebrochen ist. Nichts überstürzen - er ist garantiert kurz vor dem Tod. Die Schwärze ... ist bedrückend. Ist sein Hals gebrochen? Meine Flammenhand ist sanft, warm, tastet nach Anzeichen ...
Kein Puls?
Kein Puls?
"Nein! Das kann nicht ... nicht jetzt! Nicht nach unserem Sieg!"
Es ist mir völlig egal, ob ich sterbe - ich habe mich schon entschieden! Meine eigene, freie Entscheidung! Aber er - er soll nicht ... er darf nicht ... was soll ich tun? Wie soll ich ihn wiederbeleben? Wir haben keine Tränke mehr! Mit einer Hand ist es schwierig, aber die Verzweiflung gibt mir das nötige Geschick, ich reiße die verfluchte Rüstung von ihm, den Gürtel, der Helm liegt schon daneben; kann er jetzt atmen?
Nein! Kann ich meine Kräfte genug kontrollieren, um ihm nicht alle Knochen zu brechen, wenn ich versuche, sein Herz wieder zum Schlagen zu bringen? Wie soll ich ihm ohne Lungen Luft einhauchen? Wie soll ich ...
"Dorelem, mühe dich nicht", hallt da plötzlich eine Stimme durch die Kammer des Weltsteins. Die Schwärze um meinen Blick wird etwas eingedämmt durch ein helles Leuchten.
Es ist Tyrael.
Oh Himmel, vielen Dank! Er kann doch ...
"Dein Meister ist tot."


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