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Ich denke, also bin ich

von Simon Salzl aka TwinYawgmoth

Teil 5 - Trang Ouls Triumph

Kapitel 35 - das Geheimnis der Urahnen

Der Meister steht vor der in einen Eisblock gesperrten Gestalt der in ihre schwarze Rüstung gekleidete Assassine. Durch diese ist ihr Körper halb durchsichtig, noch vager zu erkennen hinter den Wänden ihres Gefängnisses; aber sie ist es, ohne Zweifel. Lange waren wir auch auf ihrer Spur, wohl wissend, dass sie das gleiche Ziel wie wir hatte. Der neue Meister liebte sie, oder glaubte das zumindest immer. Dennoch, durch Nihlathaks Einmischung und die Chance, Trang-Ouls Avatar zu vereinen, verlor sie an Priorität. Oder ... ?
Immer noch hat der Meister sich nicht bewegt. Er starrt mit seinen hinter den glühend roten Punkten und der Schwärze des Helmes verborgenen Augen in die ihren, welche genauso viele Schleier vor sich haben.
Ich warte, und warte ...
... und treffe eine Entscheidung. Ich sollte das nicht, das weiß ich doch. Aber irgendwie ... mag ich Natalya. So Leid es mir tut, dieses Gefühl an mir nagen zu haben.
"Meister, wenn dieses Eis nicht magisch ist, sollte ich es schnell zerstören können. Bei Anya habe ich es geschafft."
Sein Blick schießt zu mir, und ich frage mich, wie viele Schmerzen ich mir gerade wieder verdient habe.
"Das Eis ist natürlich magisch."
Er legt die Hand so, als würde er Natalya über die Wange streicheln. Ein Klirren ertönt.
"Aber ich bin auch ein Feuermagier."
Der Meister sinkt zu Boden. Seine Knochenrüstung zerfällt, das Glühen vor seinen Augen verschwindet. Er verschränkt die Arme und blickt zu Boden.
"Tu es."
Vielleicht schneller und eifriger, als ich das wirklich will, trete ich vor den Stalagmiten, finde die Schwachstellen, und schlage zweimal gezielt zu.
Natalya stolpert nach vorne, ich bin bereit, sie aufzufangen; aber sie braucht mich nicht. Nach zwei schweren Atemzügen steht sie sicher.
"Golem? General? Seid ihr das wirklich?", fragt sie mit fester Stimme.
Der Meister ... lächelt. Warm.
"Ja, wir haben uns ein wenig verändert, nicht wahr? Aber jetzt haben wir es geschafft."
"Und gerade rechtzeitig!" Sie läuft zum Meister und umarmt ihn. Er klopft ihr auf den Rücken, ungeschickt.
"Bald wäre ich einfach erstickt. Meine Rüstung hat mich vor der Kälte geschützt, aber nicht davor, komplett eingeschlossen zu sein ... "
Sie löst sich vom Meister und dreht sich weg.
"Dieses Ende hätte ich mir nicht gewünscht", sagt sie leise. "Aber ich weiß nicht, ob ich es nicht doch verdient hätte."
"Weil du dich im Eis einschließen hast lassen?", fragt der Meister grob.
"Weil ich Baal den Weg geöffnet habe", entgegnet sie finster. Ohne unsere Überraschung auszukosten, fährt sie fort.
"Ich habe dich damals verlassen, weil die Vizjerei mich kontaktierten. Golem, du hast ihm hoffentlich gesagt, wie sehr mir das Leid tat?"
"Wortreich", entgegne ich lakonisch.
"Gut. Mein plötzlicher Auftrag war, hier in Harrogath einen vermuteten Magier namens Nihlathak zu beobachten. Ich quartierte mich unter dem Vorwand, eine Söldnerin auf der Suche nach spiritueller Erfüllung zu sein, bei den Barbaren ein; so musste ich meine Rüstung diesmal nicht verstecken. Nachdem ich Bannuk, den Sohn Malahs, im Duell besiegte, hatte ich ihren Respekt. Ich durfte sogar bei ihm wohnen."
Sie hält kurz inne. Bedeutungsschwanger? Aber der Meister kommentiert nicht, und ich werde mich natürlich ebenfalls hüten.
"Bald fand ich heraus, dass Nihlathak tatsächlich ein gutes Ziel zur Beobachtung war, vermutlich sogar eines der wenigen wirklich lohnenden bisher - er hatte Kontakt mit Baal! Das linderte meinen Schmerz darüber, wegen einer vermeintlich wieder sinnlosen Observierung ans Ende der Welt geschickt worden zu sein ... weg von dir."
"Aber du hast ihn am Leben gelassen", bemerkt der Meister.
"Das ist das Seltsame!", gibt Natalya zu. "Ich meldete meine Entdeckung natürlich sofort meinen Vorgesetzten, aber ich bekam die strikte Auflage, weiter zu beobachten. Immer nur beobachten, beobachten, nichts zu unternehmen. Während diese Schlange dunkle Pakte schmiedete!"
"Also schon bevor die Belagerung begann?", wage ich einzuwerfen.
"Korrekt, Golem. Warum?"
"Er hat uns belogen, bevor wir ihn töteten, schlicht und einfach", winkt der Meister ab.
"Nihlathak ist tot? Die erste gute Nachricht seit Wochen! Denn wie gesagt, ich durfte nichts unternehmen. Bis plötzlich die Belagerung begann, und ich half natürlich bei der Verteidigung. Dann brach die Barriere zusammen, alle Weisen bis auf Nihlathak starben ... was für ein Zufall ... und wir wurden überrannt. Beziehungsweise umgangen."
"Nihlathak hat uns gegenüber offen gestanden, dass er natürlich für den Tod der anderen Ältesten verantwortlich war", bestätigt der Meister.
"Nun, wer hätte das gedacht. Zu diesem Zeitpunkt hätte ich ihn wirklich gerne getötet, aber ich dachte mir die ganze Zeit, wenn die Vizjerei mir ständig befehlen, das nicht zu tun, wird es wohl irgendeinen guten Grund dafür geben? Abgesehen davon ignoriert man Befehle der Vizjerei nicht. Das hätte Konsequenzen."
Ich erlaube mir ein kleines, vorsichtiges, aus ganzem Herzen mitfühlendes Nicken.
"Also informierte ich sie über die neusten Entwicklungen. Und bekam einen neuen Auftrag: Ich sollte verhindern, dass Baal den Weltstein erreicht, indem ich persönlich zuerst dort hinginge. Denn der Weltstein-Turm ist versiegelt, und niemand weiß, wie man das Siegel bricht, außer den Barbaren. Nicht einmal die Vizjerei wussten es. Baal würde also vor verschlossenen Türen warten müssen, bis er eine Lösung fände, und ich könnte ihm in den Rücken fallen; oder ich könnte gar schnell genug sein, um den Weltstein-Turm vor ihm zu betreten, und ihn noch direkter verteidigen. Vielleicht durch simples Legen von Fallen, worin ich sehr gut bin, oder sogar indem ich für meine Organisation vor Baal die Kontrolle über den Weltstein übernehmen würde, wenn möglich. Denn ich war in der einzigartigen Lage, das Vertrauen des Sohnes eines Ältesten zu haben, während der schlimmsten Krise, die der barbarische Auftrag, den Arreat zu schützen, je hatte - und so erfuhr ich das Geheimnis des Siegels."
"Und du hast es gebrochen, und dann ist Baal dir in den Rücken gefallen", schließt der Meister schonungslos.
"Das hätte niemals passieren dürfen", gibt Natalya zerknirscht zu. "Ich war hier oben völlig alleine, ich hatte alles mit Fallen gesichert. Ich brach das Siegel - und sofort war er da. Er muss gewartet haben, versteckt, um mich dann mit einer Attacke auszuschalten ... lange geplant."
Sie seufzt.
"Irgendwer hat mich verraten. Baal wusste genau, dass ich kommen würde, was ich vorhatte ... verdammt! Ich handelte auf Befehl, ich traf alle Vorkehrungen, ich weiß, man kann mir keine wirklichen Vorwürfe machen. Aber doch bin ich schuld daran, dass Baal jetzt im Turm ist."
"Wer könnte dich verraten haben?", fragt der Meister. "Wir haben Nihlathak getötet, und davor war er länger nur mit uns beschäftigt. Bannuk ist auch schon lange tot, wir haben ihn nicht einmal kennen gelernt ... "
"Bannuk ist tot?", ruft Natalya. Der Meister nickt. Sie vergräbt ihr Kinn in einer Hand.
"Von ihm hätte ich als letztes erwartet, dass er stirbt ... "
"Es tut mir Leid", sagt der Meister tonlos.
Ist er gerade zu schwer damit beschäftigt, sich zu überlegen, wie eine angemessene menschliche Reaktion - von jemand, der diese Frau liebt, ganz zu schweigen - aussehen soll? Nur das könnte erklären, dass er überhaupt die Barbaren ins Spiel bringt. Oder möchte er nicht, dass sie auf den Gedanken kommt? Leider kommt mir dieser Gedanke erst, als ich schon zu reden begonnen habe.
"Natalya ... ", werfe ich ein. "Du hast niemandem erzählt, dass du auf einer Mission für die Vizjerei warst, und was du für sie tun musstest. Niemand konnte Baal deinen Plan verraten ... außer denen, die ihn formuliert haben."
Ihr Kopf schießt hoch. Sie starrt mich an. "Die Vizjerei? Niemals!"
Aber da wird sie still.
"Antolov hingegen ... "
"Dein Vorgesetzter?"
"Ich hatte direkten Kontakt zu ihm ... und nur zu ihm!"
"Da hast du deine Antwort", erklärt der Meister mit einer abweisenden Handgeste.
"Ich glaube es nicht!", ruft sie. "Soll ich etwa die ganze Zeit für ein Großes Übel gearbeitet haben, weil meine anderen Vorgesetzten zu blöd waren, um Antolov selbst genau genug zu beobachten?"
Der Meister streckt halbherzig eine Hand aus. "Lass dich deswegen nicht unterkriegen. Wir müssen ... "
Sie packt seine Hand, statt sie auf ihrer Schulter zu akzeptieren. "Unterkriegen? Ich bin stinksauer! Wir werden jetzt das Siegel erneut öffnen, den Turm hinunter marschieren, Baal vernichten und dann Gnade ihnen zuhause der Himmel, wenn sie danach nicht auf mich hören. Ich werde dieses fette Stück Dungpott persönlich von Hals bis zu den Füßen aufschlitzen!"
Ein Grinsen erscheint auf dem Gesicht des Meisters. "Da stimme ich gerne ... ", beginnt er, aber ihr heftiger Kuss unterbricht ihn. Etwas in mir schreit auf - sie weiß nicht, auf welchen Menschen sie gerade ihre Lippen presst ... aber was soll ich tun? Ihr zurufen, dass dieser General nicht ihr General ist? Wie sollte sie mir das glauben ... schnell genug, um vorsichtig zu sein? Denn sofort würde der Meister sie dann töten oder zumindest betäuben, mich auf sehr unschöne Weise vernichten, und ihr dann das Geheimnis des Siegels abzupressen versuchen. Ob mit Erfolg oder nicht, dahingestellt; Endresultat für mich: ich fand unter grauenhaften Schmerzen mein Ende, Natalya vermutlich auch, und Baal wurde auch nicht aufgehalten. Oh, und ganz abgesehen davon: was denke ich überhaupt, ich Werkzeug, ich?
"Wir tun es", strahlt Natalya am Ende ihres langen Kusses. "Zusammen!"
Der Meister lächelt, sichtlich bemüht, die Kontrolle zu behalten. Über was?
Sie schreitet auf den Altar in der Mitte des Plateaus zu. Dreht sich um, spricht im Rückwärtsgang zu uns. "Das Siegel zu öffnen ist ganz einfach. Das Problem ist, was dann kommt. Die Urahnen verteidigen den Weltstein-Turm - ihre ewige Aufgabe. Nur, wer sie besiegen kann, darf den Turm betreten."
"Aber du hast das Siegel schon geöffnet?", fragt der Meister.
"Ja, und sie besiegt. Sobald der letzte von ihnen fiel, muss Baal mich überwältigt haben."
Der Meister deutet auf die drei Statuen. "Das sind die Urahnen? Alle drei? Du allein?"
Sie sieht ihn schief an. "Natürlich! Falls es dir hilft, ich bin natürlich auch nicht blöd. Und kann Fallen stellen."
Offenbar befriedigt das den Meister irgendwie. Natalya dreht sich wieder um und legt beide Hände auf den Altar.
"Urahnen! Ich bin hier, um Euch herauszufordern! Tretet vor mich!"
Von jeder der Kriegerstatuen geht gleichzeitig ein Licht aus. Es überstrahlt kurz alles, und als es verglüht ist, treten drei mächtige Barbaren von ihren Sockeln. Sie sind leicht durchscheinend, aber ihre schweren Schritte verraten, wie materiell ihre Körper sind.
Der vom mittleren Sockel, mit dem mächtigen Schwert, beginnt donnernd zu sprechen.
"Assassine! Du hast uns bereits herausgefordert, und du hast gesiegt. Du bist würdig, den Weltsteinturm zu betreten. Warum weckst du uns erneut?"
"Ich weiß, dass ich in den Turm ziehen kann", entgegnet sie. "Aber würdig fühle ich mich nicht."
"Wir haben gesehen, was passiert ist. Wir konnten es nicht verhindern. Dich trifft keine Schuld, einzig wir sind es, die nicht würdig sind. Wir sind gescheitert in unserer Aufgabe. Und dennoch sind wir weiterhin an sie gebunden. Geh! Trete durch das Tor, besteige den Turm, und halte Baal auf. Wenn es nicht schon zu spät ist - aber wenn jemand das Unmögliche schaffen kann, dann du!"
Natalya verbeugt sich. "Ich danke Euch für Euer Verständnis, Talic. Erlaubt mir also, diese Krieger, meine Freunde, als Geleit mitzunehmen - mit ihnen an meiner Seite werde ich mit Sicherheit siegen!"
"Nein."
Natalya ist sichtlich überrascht. "Der General und sein Golem haben Mephisto und Diablo besiegt - es könnte keine ehrenhafteren Krieger als sie geben!"
"Beim Golem Dorelem würde ich dir zustimmen", entgegnet Talic. Der Name versetzt mir einen Stich. "Doch wir wissen genau, was der General getan hat. Beginnend damit, dass er den heiligen Arreat aus Dorelems Wahrnehmung ausgeschlossen hat."
Natalya wirft mir einen schnellen Blick zu. Ihre Lippen formen "Dein Name?". Ich werfe einen noch schnelleren Blick zum Meister, der aber abgelenkt scheint, also nicke ich fast unmerklich. Dann wendet sich Natalya wieder an Talic. "Ich bin mir sicher, dass der General dafür seine Gründe hatte. Aber bitte, die Zeit drängt. Statt ihn jede seiner Handlungen erklären zu lassen ... "
"Das wird nicht nötig sein", schneidet sie der Meister ab und tritt näher.
Talic funkelt ihn an. "Das wird auch nicht möglich sein ... General. Wir wissen, wer du bist. Niemals werden wir einen wie dich in den Weltsteinturm lassen."
"Ach, ich bin nur also noch unwürdiger als Baal? Interessant. Urahnen, ich bin hier, um euch herauszufordern! Tretet vor mich!"
Talic erstarrt. Dann wirft er einen Blick zu seinen beiden bisher stummen Kollegen. Der Hellebardenträger nickt stoisch. Auf dem Gesicht des Axtwerfers erscheint ein wildes Grinsen.
"Dann soll es so sein!", brüllt Talic. "Wir nehmen deine Herausforderung an - und befreien die Welt persönlich von deinem Übel!"
Plötzlich stürzt er los. Der Krieger mit der Hellebarde geht in die Knie und springt - es muss Korlic sein, der Urahne, der den Barbaren die Lüfte erschloss! Dann bleibt Madawc, der Urahn des Distanzkampfes. Seine Äxte fliegen in einem steten Strom. Sie werden ihm nicht ausgehen.
Korlic zielt auf mich. Ich stürze mich gerade rechtzeitig zur Seite, bevor er mich zweiteilt; der Boden spaltet sich, wo er aufkommt. Aber diese Ablenkung war zu lang. Talics Schwert saust herab ...
Und fängt sich an Natalyas Klauen. "Ihr werdet ihm nichts tun!", knurrt sie unter ihrem Helm hervor.
"Assassine, mein Kampf ist nicht mit dir! Ich werde dich nicht bekämpfen, wenn du mich ihn vernichten lässt!"
"Das wird leider nicht passieren."
"Frau, deine Liebe blendet dich! Das ist nicht der Mann, von dem du denkst, der er ist!"
Zwischen hastig neu gezauberten Knochenschilden, die die Äxte daran hindern, seinen Schädel zu spalten, schießt der Blick des Meisters zu dem Urahnen. Oder zu Natalya? Hinter den schwarzen Augenhöhlen beginnt ein rotes Glühen ...
Natalya reißt die Klauen hoch und lässt Talic zurückstolpern. "Das kann ich mit ihm persönlich ausmachen. Aber du wirst ihn nicht töten. Kämpfe erneut gegen mich, vielleicht schaffst du es ja diesmal!"
Talic greift sein Schwert fester. "Dann sei es so! Aber sei dir einer Sache bewusst ... "
Ich ducke mich unter einer Hellebardenklinge. Der Meister schickt seine Skelette zu Madawc; die Äxte zerreißen sie.
" ... es kommen oft Krieger in größeren Gruppen zu uns und denken, der Kampf wäre so einfacher", fährt Talic fort. Sein Schwert saust wieder und wieder herab, jedes Mal pariert Natalya problemlos.
"Aber der heilige Arreat hat uns als seine Wächter erwählt, und wir haben seine Stärke in uns! Jeder Krieger, der uns herausfordert, stärkt uns. Wenn wir vorher schon die Stärke von zehn Männern hatten ... "
Natalya tanzt um seine Klinge, und sie spaltet eine Steinsäule glatt in zwei.
" ... dann sind es jetzt dreißig, denn ihr seid zu dritt!"
Die Assassine springt auf seine Klinge, mühelos in einem Salto über seinen Kopf und lässt ihre Klauen sprechen. Talic blutet Licht. "Mit Männern hatte ich noch nie Probleme, egal, wie viele es waren", höhnt sie. Talic fährt wütend herum. Natalya steht Meter von ihm entfernt und macht eine lockende Geste mit ihrem Zeigefinger. "Aber wenige von ihnen haben beim Tanz so viel geredet wie du."
Sie greift hinter ihren Rücken und zieht von irgendwoher kleine Zweiggebilde. Aus dem Handgelenk wirft sie diese links und rechts von Talic auf den Boden. Blitze schießen aus ihnen. Er ballt die Fäuste, bis seine Geistermuskeln hervorquellen. Auf seiner Stirn treten Adern hervor.
"Also tanz!", lacht Natalya.
Ich muss mir also um sie keine Sorgen machen. Korlic hingegen ... methodisch schwingt er seine gewaltige Waffe durch die Luft, um mir den Bewegungsspielraum schwer einzuschränken. Ich hüpfe, rolle und ducke mich so gut es geht um die scharfe Klinge am schlanken Stock. Aber mein Körper ist nicht für Agilität gebaut, so gerne ich sie hätte. Dorelem, so schwer es mir fällt, das zuzugeben, hat mir da viel beigebracht ... ich hatte mich zu sehr daran gewöhnt, ein unaufhaltsamer Todbringer zu sein. Warum hätte ich verzweifelt nach mir geworfenem Geschirr, krallenden Fingern, die sich an meiner Haut verbrennen oder auch dem einen oder anderen versteckten Messer ausweichen sollen? Das hilft mir hier allerdings wenig. Wieder und wieder schneidet die Waffe mich, fetzt Tonbrocken von mir weg in einem Regen aus verlöschenden Funken ... und ich bezweifle, dass der Berg mir neue Substanz zur Verfügung stellen wird. Also muss ich mir etwas einfallen lassen. Nur geht das nicht, wenn ich damit beschäftigt bin, einfach zu überleben. Fast verliere ich einen Arm, als ich zurückstolpere ...
Da springt Korlic hoch in die Luft. Für einen ganz kurzen Moment, in dem ich meine Reflexe das Ausweichen überlasse, kann ich nachdenken.
Was soll ich tun?
Da fällt mir etwas ein.
Sein Vorteil ist die Reichweite. Nimm ihm diesen Vorteil!
Was ... ? Das habe ich doch gerade nicht gedacht! Warum erinnere ich mich dann ...
Dorelem! Bist du das? Moment, hat er nicht gerade schon geantwortet?
Um Himmels Willen, endlich. Natürlich bin ich das. Wir müssen reden.
Du bist in meinen Erinnerungen gefangen ... und hast herausgefunden, wie du dich in meine Vergangenheit von vor wenigen Momenten einschleichst? Das ist
Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken.
genial!
Ja.
Korlic kommt auf und ich werde von der Schockwelle geradezu weggeschleudert. Hat er auch die Masse von dreißig Männern? Ich werde mich nicht unter ihn begeben, um es herauszufinden. Dorelem, vielen Dank für deine Idee, ich werde sie umsetzen, aber wir können jetzt Ja, geh in den Nahkampf, vernichte ihn dort.
nicht reden.
Gut.
Korlic steht gerade wieder auf ... da stellt er fest, dass ich auf ihn zugestürmt bin. Gerade noch bekommt er seine Waffe hoch, aber das hält nur meinen ersten Schlag auf. Ich habe zwei Klauen. Sie fegt ihm beinahe den Helm vom Gesicht. Sofort nach dem Schlag schnappt sein Kopf wieder gerade - nur das leuchtend helle Blut, das ihm von der Geisterwange tropft, verrät, dass ich ihn tatsächlich verletzt habe. Er stellt beängstigend schnell fest, dass ich keine Anstalten mache, ihm von der Pelle zu rücken - während ich für den nächsten Schlag aushole, tritt er mir schon vor die Brust, um mich von ihm weg zu bekommen. Er hebt die Hellebarde ...
Da fällt mir ein, dass ich eine Feuerpeitsche habe. Dorelem, ich war nie so froh, dich im Hinterkopf zu haben.
Ich schlinge einen Tentakel um sein noch erhobenes Bein, das er gerade für den Schwung des Schlages, der mich vernichten soll, zu Boden donnern lassen will. Ich ziehe mit beiden Händen.
Er stolpert, nur ein bisschen. Ich greife nach dem Stiel der Stangenwaffe ...
Deren Ende donnert zwischen meine Beine.
Ich starre ihn an. Wirklich?
Das andere Ende der Holzstange, gleich unter dem Kopf der Waffe - ich bin wieder zu nahe, um vom Metall berührt zu werden - saust im Gegenzug auf meinen Schädel.
Und ja, er ist stark. Es jagt Schmerzwellen durch meinen gesamten Körper, und ich glaube, ich sinke ganz leicht in den Boden ein. Den gefrorenen Boden. Einem Menschen hätte das sicher das Gehirn aus den Ohren fliegen lassen.
Aber ich bin kein Mensch, sondern auch so stark wie mehrere Männer. Und Korlic hat zumindest eine kleine Reaktion von seinem Schlag unter die Gürtellinie erwartet - so ist ein Winkel völlig falsch, um wirklich ernsthaft Schaden anzurichten.
Und jetzt kommt meine Expertise zum Tragen. Blitzschnell analysiere ich seine Rüstung, identifiziere Schwachstellen, sehe, wo sie nicht perfekt sitzt. Er ist der geisterhafte Avatar eines der größten Krieger aller Zeiten. Aber er hat eine menschliche Form unter nachgebildetem Metall. So gut geschmiedet diese Brustplatte auch ist - Fleisch ist formbar und Stahl ist es nicht.
Ich ramme einen Finger mit einem Nagel wie ein Dolch in die Stelle unter seiner Schulter, die immer frei sein muss, um Bewegung zu erlauben. Und er kämpft mit einer gigantischen Stange, und er springt mit ihr in die Luft. Er ist leichter gepanzert als es zum Beispiel Talic ist.
Mein Finger findet Haut, Muskeln, Blutgefäße. Und dann fließt Feuer daran entlang und findet auch Knochen.
Sein anderer Arm schießt plötzlich vor, als seine Waffe zu Boden klappert. Seine Pranke ist tatsächlich groß genug, um meinen unmenschlich geschwollenen Gorillanacken zu umschließen. Er hebt mich hoch.
"Werde nicht übermütig, Golem", spricht er mich zum ersten Mal an. Sein Griff schließt sich ...
Er trägt keine Handschuhe. Natürlich, sonst könnte er die Hellebarde nicht annähernd so zum Fliegen bringen. Und hätte er einen Menschen in meiner Position, könnte dieser wenig machen.
Meine Krallen schlitzen seine Finger mühelos auf. Seine Augen werden groß.
"Du scheinst wirklich zu vergessen, dass ich in der Tat ein Golem bin", erkläre ich ihm ohne Anflug von Würgen in der Stimme, natürlich. Mein Feuer flammt hoch, lässt seine Hand von mir wegplatzen, ihn wegtaumeln. Seine Waffe ist in meiner Hand. Seine Beine sind, natürlich, für die Sprünge, auch nicht gepanzert.
"Bevor du mir in den Schritt schlägst, zieh dir erst einmal selber eine Hose an", verhöhne ich ihn, als ich ihm ein Bein abtrenne. Er gibt keinen Laut von sich, als ich ihn verkrüpple. Greift stattdessen an seinen Gürtel, zieht einen Dolch hervor, schwingt sich mit absolut unerwarteter Kraft und Grazie hoch und stürzt sich auf seinem einen Bein auf mich.
Der Dolch landet in meiner Brust.
Meine gesamte Hand landet in seiner Kehle. Ich schüttle bedauernd den Kopf.
"Du bist würdig", erklärt er da, ohne Anflug von zerfetzten Stimmbändern in der Stimme. Sein Körper löst sich auf. "Ich werde vor dem Arreat beten, dass er dich befreit ... "
Korlic steht nun wieder als Statue auf seinem Sockel, diesmal aber aus makellosem Gold.
Für einen Moment erstarre ich und ein Schauer läuft mir den Rücken hinunter.
Was ist mit genau jetzt?, fällt mir da ein.
Was ist mit dem Kampf?
Natalya und Talic tanzen immer noch. Er wirkt immer noch erregt von ihrem garantiert kalkulierten Hohn, aber vor allem ist er konzentriert und ernst. Sie genießt den Kampf sichtlich, setzt kleine, ineffektive Schläge gegen seine Rüstung, die aber jeweils eine leuchtende Kugel erzeugen, die um sie tanzt; sobald sie drei von diesen gesammelt hat, wartet sie auf eine Gelegenheit, und mit einem mächtigen Tritt setzt sie die Energie der Assassinentechnik frei. Talic blockt diese zweihändig mit seinem Schwert ... gerade so.
Und der Meister?
Seine Skelette umringen Madawc. Sie haben es geschafft. Vielleicht hat er mit Flüchen nachgeholfen. Aber auch im Nahkampf ist der Wurfbarbar eine ernste Gefahr - er ist kaum gerüstet, also schnell, und obwohl von Wunden überzogen, zeigt sein Geistkörper keine Anzeichen von Schwäche. Ein Skelett um das andere fällt ...
Und da steht er unbehelligt dem Meister gegenüber.
"Willst du dich weiter zurückhalten, um deine dreckige Echsennatur nicht zu verraten, General?", spottet Madawc. "Zeig, was du kannst! Gib mir einen guten Kampf! Und dann vergieße dein vergiftetes Blut auf dem Gipfel des Arreat! Der heilige Berg wird dich schon zu reinigen wissen!" Eine Axt fliegt, der Meister pariert mit einem geisterhaften Fragment der Knochenrüstung. Noch eine Axt, noch ein Fragment ... er hat nur noch eines herumschweben. Auch dieses fällt. Die nächste Axt ... ein Feuerball fegt sie aus der Luft. Madawc lacht, wirft weiter. Der Meister zieht genervt eine Knochenwand zwischen sich und dem Werfer hoch - sie hält genau zwei weitere Würfe aus, bevor sie zu Staub zerbirst. Die nächste Axt prallt einfach ab. Der Meister schwebt, umgeben von seiner stärksten Rüstung, glühende Augen hinter den Höhlen, Trang-Ouls Avatar in voller Macht getränkt.
Wild grinst Madawc, zieht zwei Äxte gleichzeitig aus seinem unendlichen Köcher, und beginnt, auf den Meister zuzustürmen ...
Ein Tonklumpen, der sich klebrig um sein Bein schlingt, bringt ihn zum Taumeln. Ein zweiter zum Stehen. Ich schreite näher.
Der Meister schnaubt. "Da hast du deinen 'guten Kampf'."
Er wirft einen Feuerball auf Madawc, der nicht ausweichen kann. In Funken zerplatzt er auf seiner Rüstung. Noch ein Feuerball fliegt, trifft ihn etwas höher - er reißt die Arme hoch. Der Meister gibt nicht auf, wieder und wieder und wieder wirft er auf den Barbaren. "Na, wie gefällt dir das? Meine Macht, die du sehen wolltest? Bade darin!", brüllt er. Schwebt näher, während er feuert. Bis er ganz nah an Madawc ist. Dieser kann kaum noch stehen, ich vermute, der mittlerweile festgebackene Ton um seine Knöchel hilft ihm mehr, als dass er ihn hindert.
Der Meister hält inne, und Madawc kann für einen Moment hoch sehen, ohne dass ihn ein Feuerball trifft. Seine Haut glüht rot, wo sie nicht geisterhaft weiß scheint. Seine Lippen sind gesprungen, er hat keine Haare mehr.
"Du hast zum zweiten Mal versagt, kleiner Barbar", ätzt der Meister. Tatsächlich hat Madawc nur in etwa meine gedrungene Höhe. Und natürlich schwebt der Meister. Er packt Madawc am Kinn, zieht mit der anderen Hand das Jade-Tan-Do aus dem Gürtel, hält es dem anderen an den Hals.
"Ich werde in den Weltsteinturm eindringen, ich werde ihn besteigen, und ich werde über Baal triumphieren. Dann werde ich mir den Weltstein selbst zu Eigen machen, und es gibt nichts, was du dagegen tun kannst!" Er hofft, den Barbaren brechen zu sehen ...
Madawc reißt eine Axt hoch. "Doch!" Dem Meister entgleitet der Kris, als sein Arm weggeschlagen wird ...
Ein Knochenspeer dringt durch Madawcs Kinn und oben wieder heraus. "Nein", erklärt der Meister.
Eine zweite goldene Statue erscheint ...
Der Meister und ich drehen uns gleichzeitig zu Natalya, um zu sehen, wie es ihr geht. Sie muss aus dem Augenwinkel gesehen haben,was passiert ist, Talic hat es sicher gespürt; aus stummen Respekt trennen sich Barbar und Assassine voneinander. "Und nun? Willst du es gegen uns drei versuchen?", scherzt sie. Schön, dass sie nach all dem ihren Humor bewahrt hat. Aber so geht sie wohl damit um, dass die Situation todernster ist, als sie denkt. "Das ist sinnlos", gibt Talic freimütig zu. "Denn zumindest einer von euch ist nicht an Ehre interessiert. Bist du nun bereit, mir zuzuhören? Sie ihn dir an, deinen General! Ist das der Mann, den du liebst? Dieses ghoulische Monster?" Sie studiert den schwebenden Meister, mit seiner Ganzkörperknochenrüstung, den dämonisch glühenden roten Augen, die nicht im Geringsten die Schwärze um die durchdringen können ... sie seufzt. "Was willst du mir sagen?" Der Meister schwebt näher. "Für solchen Unsinn haben wir keine Zeit, meine Liebe. Er hat aufgegeben; also lass ihn in Ehre in sein Schwert stürzen, dann vernichten wir Baal."
Talic rammt besagtes Schwert in den Boden. "Ich habe vor ihr aufgegeben, General. Wenn sie nicht beschließt, mich zu töten, dann kann diese Klinge immer noch in dir landen. Und wenn ich ihr erzähle, wer du wirklich bist, hilft sie mir vielleicht sogar. Wahrscheinlich hilft mir sogar Dorelem."
Der Mund des Meisters bekommt einen gefährlich amüsierten Zug. "Dorelem ... natürlich. Ich könnte dem Golem hier und jetzt befehlen, euch beide zu töten, und er würde es ohne zu zögern tun."
"Hat er jetzt einen Namen oder nicht?", fragt Natalya vorsichtig.
"Hast du deine Klauen auch benannt?", gibt der Meister zurück.
"Natürlich hat er einen Namen", erklärt Talic.
"Hast du einen Namen?", fragt die Assassine mich direkt.
Ich spüre den Blick des Meisters schwer auf mir ruhen.
Ich sehe, wie der von Natalya zwischen mir und ihm wandert.
Ich treffe eine Entscheidung.
Und schüttle den Kopf.
Sie legt ihren schief ... und tritt vorsichtig einen Schritt vom Meister weg.
"Erzähl mir, was du zu sagen hast, Talic."
Ja!
Oh nein.
Was ... ?
Deine Angst, dass er sie ... ? Nein, in ihm ist immer noch die Seele unseres Generals gefangen - er wird das nicht zulassen!
Der Meister schwebt auf der Stelle, völlig starr.
Das Licht hinter seinen Augen wird dimmer.
Nein nein
Nein!
nein ...
Und flammt auf.
Ein Knochengefängnis schießt um Natalya und Talic hoch. Sie kommt gerade noch dazu, einen überraschten Laut von sich zu geben ... dann füllt sich das Innere des Gefängnisses mit Flammen. Der Meister zaubert noch eine zweite Feuerwand, sodass sich beide in der Mitte kreuzen. Ihr Fauchen schafft es nicht, die Schreie zu übertönen.
Die Flammen vergehen langsam, viel zu langsam.
Eine dritte goldene Statue nimmt ihren Platz auf dem Podest ein.
Ich mache einen schweren Schritt, noch einen, noch einen auf das Knochengefängnis zu.
Ein Meteor schlägt in der Mitte ein, lässt die Knochen zerbersten, die Flammen darin erneut hochschlagen.
Ich stürze auf die Knie. Schlage die Hände um den Kopf zusammen. Ich sollte nicht ... der Meister wird mich dafür töten, für diesen Ausbruch von Gefühlen. Aber ich kann nicht ... ich kann sie nicht zurückhalten. Es ist vorbei, ich habe verloren, schon lange. Nur nie deutlicher als jetzt.
Ein zweiter Schrei durchstößt meine Taubheit. Mir gegenüber fällt der Meister aus der Luft, ebenfalls auf die Knie, und auch sein Kopf landet zwischen seinen Händen. Sie packen die Hörner des Helms. Beginnen zu ziehen ... und scheitern.
Der General ... !
Er wehrt sich? Angesichts dieses Verbrechens ... endlich? Ist es dafür nicht viel zu spät?
Es ist für Vieles viel zu spät.
Meine Hände lösen sich von den Seiten meines Kopfes. Ballen sich zu Fäusten.
Ich ramme beide in den Boden.
Da hast du natürlich Recht.


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