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Ich denke, also bin ich

von Simon Salzl aka TwinYawgmoth

Teil 5 - Trang Ouls Triumph

Kapitel 03 - Freunde

Die Spinne wandert langsam über den Tisch; dann duckt sie sich, zieht ihre acht Beine gleichzeitig an, und springt hoch. Sie landet auf den vier mittleren, die anderen sind gestreckt; ein weiterer Hüpfer, jedes zweite Bein ist erhoben; noch ein Sprung, und sie versucht, die vorderen und hinteren beiden Beine als Halt zu benutzen, versagt aber und fällt um.

Der Meister richtet sie wieder auf.

»Na ja, ein wenig Arbeit braucht sie vielleicht noch.«

»Das ist trotzdem der Hammer! Kannst du sie zum Tanzen bringen?«

»Wenn du dir eine Choreographie überlegst ...«

Dostrian lehnt sich zurück. »Ich finde es ja viel interessanter, dass du sie tatsächlich aus einer echten toten Spinne erschaffen hast. Merten hat für seine sicher Abfälle vom Essen gesammelt, aber dass es aus Chitin auch geht, hätte ich wirklich nicht gedacht. So sieht sie wie lebendig aus.«

»Auch ein Exoskelett ist ein Skelett«, winkt der Meister ab. »Wenn man genug Fliegen zusammenbringt, kann man daraus einen ganzen Krieger erschaffen!«

»Das klingt so, als hättest du das schon mal gemacht?«, fragt Lixts zarte Stimme behutsam nach. Der Meister grinst, aber nicht in die Richtung des Zwischenrufs. »Ja ... es war in einer ekelhaften Höhle voller Würmer und Käfer, tief unter der Wüste ...«

Dostrian wirkt ein wenig enttäuscht, dass der Meister wieder dazu gebracht worden ist, abzuschweifen, statt ihm und seinen Freunden eine neue, aufregende Technik beizubringen, die sie noch nicht kannten. Aber Hunradil und Lixt hängen an den Lippen des Helden, der sich unglaublich über die Aufmerksamkeit freut. Eher über die des braunhaarigen Novizen; er ist immer noch ein wenig vorsichtig dem dritten Mitglied in der Gruppe von Freunden gegenüber, seit er erst vor vier Tagen herausgefunden hat, dass Lixt nicht schon ziemlich lange auf einen Wachstumsschub und den Stimmbruch wartet; Lixt redet einfach nicht gerne. Außerdem ist sie weiblich. Sie meint, sie hätte gerne längere Haare, die sind aber nicht erlaubt, weil sich fehlgeschlagene Beschwörungen daran festhalten können; und eine Frisur wie Dostrians, die gerade an die Grenzen stößt, findet sie noch fürchterlicher als die Alternative, fast gar keine Haare zu tragen.

Vielleicht ist der Meister auch ein wenig übervorsichtig, weil er meint, dass Lixt ihm ein wenig zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Ich sollte ihn mal darauf ansprechen.

Zunächst haben wir aber etwas anderes anzusprechen.

Ist ja schon gut. Ich stehe mit den Golems von Dostrian und Lixt am Eingang der Freizeithalle; es sind gerade keine Meister anwesend, was ungewöhnlich ist, aber ich weiß, dass so viele von diesen sich in der Kammer mit der Geheimen Kunst der Nekromantie die Klinke in die Hand geben, dass sich teilweise Schlangen vor der Tür bilden; kein Wunder, dass Aufsichtspflichten etwas schleifen gelassen werden. Falls doch einer auftaucht, hat Dostrians Golem die Anweisung, mich einfach zu den anderen auf den Tisch zu werfen, als wäre ich ein Teil von ihm; dann lassen die Novizen schnell Beweise verschwinden. Und mich natürlich auch.

Dieses System - bis auf die Tatsache, dass das geworfene Projektil lebendig ist - ist auch mit allen anderen Novizen im Raum abgesprochen, die genauso heimlich Übungen und Tricks versuchen, die ihnen eigentlich nicht erlaubt sind; Dostrians Idee, an einem Strang zu ziehen, kommt nicht bei jedem gut an, aber es ist allgemein bekannt, dass man sich auf ihn verlassen kann. Die Umstände sind so extrem günstig für den Meister, mit seinen weit fortgeschrittenen Fähigkeiten seine neuen Freunde etwas zu beeindrucken.

»Also, Ratte - ein Wurm, so groß wie ein zweistöckiges Haus? Das nehm ich dir nicht ab!«

Der Meister boxt Hunradil in die Schulter. »Das ist für den Namen, und das ...« er schlägt noch einmal zu »... dafür, dass du mir nicht glaubst! Es war eine Wurmkönigin, die ständig mehr ihrer ekelhaften Brut ausgespuckt hat ... und ihr Unterleib war im Boden vergraben, wie tief, weiß ich nicht! Vielleicht war sie zwanzig Meter länger!«

»Wie hast du sie bezwungen?«, fragt Dostrian. Er ist auch in Stimmung geraten. So steif, wie er sich oft gibt, er lässt sich leicht aus seiner Schale locken, und sein Witz ist nicht nur vorhanden, sondern oft von großem Geist. Am scharfzüngigsten aus der Runde ist allerdings Lixt - alle ihrer sparsamen Bemerkungen treffen genau ins Schwarze.

Lässt du dich jetzt schon von Geschichten ablenken, an denen du selbst mitgewirkt hast?

Ich bin nur überrascht, dass der Meister nicht einmal versucht, zu übertreiben. Aber na gut. Jetzt hab ich mir auch überlegt, wie ich anfange. Ich klopfe Dostrians Golem gegen das Bein, und als er zu mir heruntersieht, bitte ich ihn durch Gesten, mich hochzuheben. Auf seiner Augenhöhe winke ich auch Lixts Golem zu mir. Du hältst weiter Ausschau?

Wenn sich jemand nähert, gebe ich sofort Bescheid, und wir fliegen durch den Raum.

Ich sehe den beiden Golems in die wenig ausgebildeten Gesichter.

»Ihr werdet nicht glauben, dass ich euch was sagen kann ... «

Beide reagieren in etwa so, wie es Ingkrias' Golem vor etwa zwei Wochen tat; ich falle fast von der Hand, auf der ich stehe. »Ich weiß, das ist ziemlich überraschend. Aber das muss nicht jeder wissen, also halte mich etwas bedeckt, ja? Hören könnt ihr mich eh, das weiß ich.«

Nach einem kurzen Moment immer noch anhaltender Verwirrung versteckt mich Dostrians Golem wieder vor den möglichen Blicken der anderen Novizen. Dann rede ich schnell, aber leise weiter.

»Also ja, mein Meister hat mir die Fähigkeit gegeben, zu sprechen. Ich habe erst vor kurzem herausgefunden, dass das nicht nur ungewöhnlich ist, sondern sogar eigentlich nie gemacht wird. Finde ich nicht richtig. Euch gibt es jetzt in etwa so lange wie mich; ihr seid sicher noch genauso verwirrt über alle möglichen Kleinigkeiten des Lebens, das ihr erst seit kurzem führt. Und konntet mit niemandem darüber sprechen. Wir werden in diese Welt geworfen und bekommen gleich Befehle, aber dass wir eigenständig denken können, und erst einmal verloren sind, interessiert niemanden.«

Dostrians wirkt skeptisch ... aber Lixts Golem nickt kurz und eindringlich.

»Mein Meister hat eine Weile gebraucht, um festzustellen, dass ich überhaupt einen eigenen Willen habe; ich glaube, euren ist das noch gar nicht bewusst, und den wenigsten anderen Totenbeschwörern auch. Ich denke nicht einmal, dass sie allzuviel dafür können, zumindest nicht eure Meister, die es gar nicht besser wissen können; aber das heißt nicht, dass es so bleiben muss.«

He, das war aber nicht Teil der Idee!

Der Meister sagte, mach ihnen ein Angebot. Ich komme schon darauf. Heißt nicht, dass ich nicht meine eigenen Gedanken dazu unterbreiten kann, oder?

Ich kanns dir nicht oft genug sagen, bevor sie wussten, dass es ein Leben außerhalb der Knechtschaft gibt, waren sie vielleicht nicht glücklich, aber es war ihnen egal! Jetzt sind sie auf jeden Fall unglücklich, und werden das sein, bis ihre Existenz endet!

Und was genau schert dich das Glück anderer Golems? Seit wann hast du denn Mitleid?

Du bist dabei, eine handfeste Revolution anzuzetteln.

Möglich. Ich weiß, dass ich nicht länger zusehe, wie hier unzählige unserer Mitgolems systematisch unterdrückt werden.

Das System ...

Ist mir egal! Die Nekromanten haben gefälligst zu lernen, dass sie nett zu ihren Golems sein sollen, oder sie sollen es bleiben lassen.

Golems haben keine Macht. Exakt überhaupt gar keine. Du erreichst nichts. Außer, dass du in ihnen Hoffnungen weckst, die nur enttäuscht werden können.

Ich ... gebe ihnen eine Chance.
Und wir hatten diesen Auftrag so oder so, was meinst du, welche Gedanken sie sich alleine gemacht hätten? Lieber sage ich ihnen, dass sie ihren Meistern nicht böse sein sollen, statt dass sie die falschen Schlüsse ziehen. Jetzt lass mich weiter reden.

»Ich würde also gerne von euch wissen, ob ihr prinzipiell daran interessiert wärt, über euch hinauszugehen und mehr zu sein als nur stumme Werkzeuge.«

Ist dir das neutral genug?

Nicht mal im Geringsten.

Weil du nicht weißt, was ein Kompromiss ist.

Beide überlegen. Schon nach kurzer Zeit nickt Lixts Golem. Dostrians tut sich schwerer ... und schüttelt schließlich den Kopf. Gut, dass ich ihn ohnehin schon die ganze Zeit etwas fragen wollte. »Sag mal ... dein Meister kann dir doch nicht wirklich Befehle durch seine Gedanken schicken, oder?«

Er sieht mich schief an, dann schüttelt er den Kopf.

»Aber du tust ihm den Gefallen, so zu tun, als könnte er es. Warum?«

Da ist er hilflos; mit Gesten wird das etwas schwierig. Also versuche ich es mir zu erklären. »Magst du ihn? Ist er nett zu dir?«

Er wirkt unentschieden.

»Möchtest du, dass er gerne netter wäre?«

Immer noch keine klare Antwort.

»Hättest du gerne Anerkennung dafür, dass du ihm so hilfst?«

Deutliches Nein.

»Du denkst, es ist einfach nur das Richtige?«

Kurzes Überlegen ... und er nickt.

»Das ist sehr edel vor dir, und ich finde es bewundernswert. Aber ... du weißt, dass er das nicht verstehen wird, nicht verstehen kann. Du wirst irgendwann einmal nicht abschätzen können, was er von dir möchte. Er wird enttäuscht sein oder sogar in Gefahr geraten, und du wirst für etwas bestraft, was eigentlich sehr gut gemeint war. Oder vielleicht läuft alles gut, wer weiß. Stell dir vor, er lebt noch weitere sechzig, siebzig Jahre. Du liest ihm jeden Wunsch von den Lippen ab. Du wirst nie ein Wort des Dankes dafür erhalten, kein Lächeln wird je von ihm an dich gerichtet werden. Schaffst du das? All diese Zeit?«

Er ist immer noch unentschlossen. Bis Lixts Golem ihm eine Hand auf die Schulter legt. Er zuckt zusammen. Sie schüttelt den Kopf. Er lässt seinen sinken. Und schüttelt ihn schließlich auch.

»Ihr beide habt euer Leben noch vor euch. Ihr würdet es sehr gerne nutzen, um euren Meistern zu helfen, davon bin ich überzeugt. Es sind gute Menschen. Aber ihr könnt sie auch nicht nach besten Kräften unterstützen, wenn ihr euch nicht verständigen könnt.
Mein Meister hat mich gebeten, euch zu fragen, ob ihr gerne sprechen lernen möchtet. Wenn ja, wird er euren Meistern anbieten, gemeinsam für euch daran zu arbeiten. Was soll ich ihm sagen?«

Und schließlich nicken beide in Einigkeit. Ich lächle. »Ich hoffe, dass ihr euch bald mit mir unterhalten könnt. Ich sage ihm gleich Bescheid; bitte passt derweil kurz alleine auf.«

Schnell krieche ich um Stuhlbeine und an Wänden entlang, im Schatten der allgegenwärtigen Fackeln, bis ich beim Meister angelangt bin. Klettere auf den Tisch, winke den anderen Novizen zu; Lixt lächelt mich freundlich an, was mich freut. Sie ist sicher gut zu ihrem Golem. Der Meister schiebt mir Zettel und eine abgebrochene Bleistiftspitze hin. »Ist irgendwas?«

Pflichtbewusst schreibe ich in für mich großen, für ihn recht kleinen Buchstaben »Sie wollen«, wobei ich versuche, verspielte Schnörkel in die Lettern zu legen, wie Ingkrias' Golem sie macht, aber versage ziemlich. Ich lerne aber. Er hatte jetzt schon öfter Gelegenheit, mit mir zu reden, und bringt mir seine Schrift bei, was ihm sehr viel Spaß zu machen scheint. Der Meister nickt und schickt mich wieder zurück; immerhin muss das Frühwarnsystem intakt bleiben. Da ich mittlerweile sehr gut vom Zweiten darin unterrichtet wurde, mein Gehör nur auf eine Quelle auszurichten, kann ich aber trotzdem alles hören, was am Tisch besprochen wird.

Die anderen Golems sehen mich erwartungsvoll an; ich zucke mit den Schultern. »Wir werden sehen.« Dass ich mithören kann, verrate ich ihnen nicht. Wer weiß, wie ihre Meister reagieren; das müssen sie nicht unbedingt mitbekommen.

Meiner beginnt, das Gespräch auf das richtige Thema zu lenken: »Nun sag mal, Hunradil. Ich mach mich ja gerne lustig, aber warum hast du eigentlich noch keinen Golem?«

Der Angesprochene runzelt etwas verärgert die Stirn, aber antwortet dann doch. »Offenbar ... bin ich noch nicht reif genug dafür.«

»Golems zu erschaffen lernt man nicht im normalen Unterricht«, hilft Dostrian aus. »Irgendwann nimmt ein Meister einen zur Seite und sagt: Du bist bereit zu lernen. Du bereitest dich einen ganzen Monat intensiv vor, und dann darfst du immer einen Golem besitzen.«

»Aha, und was ist Teil dieser Vorbereitung?«

Dostrian reibt sich das Kinn, dann zuckt er mit den Schultern. »Wir dürfen das eigentlich nicht verraten, aber ... Hunradil weiß es ohnehin schon. Manchmal kommt er mir hungriger vor nach Geheimnissen als nach Essen ...«

Dafür fängt er sich einen Klaps auf den Hinterkopf ein. Bringt ihn nicht wirklich aus der Fassung, aber lässt eines seiner seltenen, aber sehr ehrlichen Grinsen erscheinen. »Und wir wissen ja auch, dass du wahrscheinlich so vorbereitet bist, wie es gerade geht, also was solls.«

Trotzdem sieht er sich noch einmal um, ob auch wirklich kein anderer Novize zuhört.

»Also, am Wichtigsten ist eigentlich der Respekt vor dem Golems, das haben wir wohl am meisten eingeschärft bekommen. Sie sind kein Spielzeug und nicht dafür da, deine Wäsche aufzuräumen. Einen Golem zu haben ist eine große Verantwortung, dir selbst und deinen Mitmenschen gegenüber.«

Der Meister runzelt die Stirn. »Und dem Golem gegenüber?«

Das verwirrt die Runde. »Warum dem Golem?«, fragt Dostrian. »Nein, es geht vor allem darum, dass du dir deiner Kontrolle ganz sicher bist, dass Befehle befolgt werden, und sich da nicht irgendeine Form von eigenem Willen entwickelt. Das ist ja mit das größte Problem an der Sache.«

Hör ihn dir an.

Hm, ist ganz gut, dass die beiden das nicht mithören. Aber was heißt das denn jetzt, haben sie versagt, diesen Willen auszuschalten bei ihren Golems? Die beiden können ganz klar für sich denken und entscheiden, wenn man sie lässt.

Und Ingkrias ist dafür auch zu blöd? Nein, den Willen kann man Golems nicht ausschalten, das sieht man ja bei uns. Die Hölle weiß, dass mein Meister daran lange gearbeitet hat. Aber es ist schlicht unmöglich, ohne die Fähigkeit, zu denken, zu interpretieren, kann man auch keine komplexen Befehle befolgen, einfache Logik.

»Ein Problem?«, wirft der Meister ein, die Augenbraue erhoben. Dostrian starrt ihn an.

»Du willst mir sagen, du siehst kein Problem darin, dass ein Golem jederzeit beschließen könnte, er hat keine Lust, auf dich zu hören, und läuft weg?«

Der Meister beschwichtigt, aber er redet etwas zu schnell bei seiner Antwort; ich erkenne, dass er da sicher noch Einiges zu sagen haben wird ... aber noch möchte er sich nicht mit den anderen streiten. »Schon klar, so meinte ich das nicht. Aber interessehalber - wie schaltet ihr den Willen denn aus?«

Lixt ist es, die antwortet. »HelKoThulEthFal. Die magischen Silben.«

»Gehorsam«, übersetzt der Meister tonlos, und erntet ein Lächeln. »Ja, du kennst dich aus! Tagelang haben wir den Zauber geübt, bis er gepasst hat. Du ersetzt die Möglichkeit aufstrebender Individualität komplett durch reine Befehlsbefolgung; wie hat Meister Baranin das ausgedrückt? Ein frisch erschaffener Golem ist eine Schiefertafel, die er selbst mit unzähligen Dingen beschreiben könnte. Gehorsam nimmt dem Golem die Kreide und gibt sie dem Beschwörer.«

»Schön auswendig gelernt«, zieht Hunradil sie auf. Lixt strahlt ihn von unten an. »Und wenn du auch so gut im auswendig Lernen wärst, dann würdest du sicher auch bald einen Golem befehlen können!«

Der wahrscheinlich doppelt so schwere Novize hat dafür nur ein Grunzen übrig. Der Meister dagegen scheint tief in Gedanken. Das ... ist aber keine sehr gute Sache, was die da lernen ...

Grundfalsch ist es, wie gerade gesagt. So funktioniert das einfach nicht.

Wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Nicht, dass die Fesseln von Gehorsam mir völlig egal wären ... wie glühende Ketten kommen sie mir manchmal vor, die mich über und über umschlingen.

»Aber wie kommst du jetzt darauf? Du bist doch ein Golemexperte, nach deinem Kleinen zu urteilen. Dass er sich zweiteilen kann, das ist ja Wahnsinn! Und folgen tut er dir aufs Wort.«

»Tja, Lixt«, murmelt der Meister und starrt in die Ferne, »das tut er deswegen, weil er es gerne tut. Er ist nicht mein Diener; er ist mein Freund.«

Sofort weichen die drei Novizen etwas von ihm zurück.

»Du spinnst«, stößt Dostrian mit einem gequälten Lächeln hervor, als glaubte er noch an einen Witz. »Du hast deinem Golem nicht den Willen gelassen.«

»Ach, die Entscheidung habe ich nicht bewusst getroffen, das kannst du mir glauben. Aber ich würde es immer wieder gleich tun.«

Lixt hat eine Hand vor den Mund geschlagen. »Das ... das ist doch grausam von dir! Wenn er denken kann, aber dein Sklave ist ... das ist unmenschlich!«

»Er ist nur ein Golem«, tut Hunradil ihre Bedenken ab. Dostrian schüttelt den Kopf. »Sie hat völlig Recht. Das ist nicht richtig von dir. Es muss furchtbar für ihn sein!«

Nervös sieht Hunradil zu mir hinüber. »Woher sollen wir wissen, dass er dich nicht heimlich hasst? Dass er das nicht an uns auslässt?«

Der Meister sieht alle drei scharf an. »Beruhigt euch, oder redet wenigstens leiser. Wir sind hier nicht allein.«

Dostrian ist jetzt deutlich wütend, senkt aber seine Stimme. »Ohne Gehorsam«, zischt er, »ist er eine Bedrohung für uns alle. Das lasse ich nicht zu! Wir haben versprochen, seine Existenz zu verheimlichen, wenn du versuchst, dich zu integrieren, aber wenn du ihn nicht vernünftig unter Kontrolle hast, werde ich das einem Meister melden!«

Darauf lehnt der Meister sich zurück. »Woher meintest du wusste ich, was HelKoThulEthFal bedeutet?«

»Du weißt, was NefLum heißt, oder nicht?«

»Touché, Lixt. Aber ich versichere euch ... er ist unter dem Einfluss von Gehorsam. Auch, wenn mir das immer mehr Leid tut.«

Jetzt sind die anderen völlig verwirrt. Hunradil spricht es aus. »Aber Mensch, dann kann er doch keinen freien Willen haben!«

Der Blick des Meisters ist eisig. »Gehorsam löscht den freien Willen eines Golems nicht aus. Das wüsste ich.«

Dostrian schüttelt den Kopf. »Du hast den Zauber wann nach seiner Erschaffung angewendet, einen Monat, zwei? Sicher war seine Persönlichkeit schon zu weit entwickelt, als dass du sie so losgeworden wärst. Du brauchst einen viel stärkeren Zauber. Lass dir von einem Meister helfen. Ich sag es dir im Guten. Es ist besser für dich und den Golem.«

»Das bezweifle ich. Jeden Teil deiner Aussage. Gehorsam hin oder her, auch eure sofort damit belegten Golems haben freien Willen, tut mir Leid, euch das sagen zu müssen. Die erzählen euch hier kompletten Unfug.«

Dostrian stößt ihm mit den Finger vor die Brust. »Wir lassen dir eine Menge durchgehen, weil du definitiv eine Menge weißt. Aber wer bist du, den Lehren, die Jahrhunderte alt sind, jegliche Gültigkeit abzusprechen?«

»Jemand, der noch ältere Lehren kennt«, gibt der Meister staubtrocken zurück. Dann wird er milder.

»Du kannst mich gerne verraten, Dostrian. Aber dann ist dir sicher auch klar, dass ihr alle keine interessanten, verbotenen, aber ach so verlockenden Techniken mehr von mir lernen werdet. Und du glaubst doch so an die Seele unserer Wissenschaft, den konstanten Austausch untereinander? Die sperren mich in mehr als einen Elfenbeinturm, wenn du diese Kleinigkeit fallen lässt. Ist aber völlig unwichtig. Ich will dich hier nicht erpressen mit was ich dir noch sagen könnte oder eben nicht. Du bist - ihr alle seid - so kurz, wie wir uns auch erst kennen, meine Freunde geworden. Von mir aus könnt ihr alles wissen, was ich weiß, ich will damit nicht handeln. Ich habe das Thema angesprochen, weil ich glaube, dass ich euch vertrauen kann. Bitte respektiert das - und vertraut mir auch.«

Ohne eine Antwort zu erwarten, steht er auf.

»Und denkt bitte in Ruhe darüber nach, ob ihr euch ganz sicher seid, dass euere Golems in geistloser Zufriedenheit existieren oder ob da vielleicht mehr dahinter steckt.«

Er setzt an, weiterzureden - und hält inne, dreht sich stattdessen um und geht, auf mich zu. Ich sehe den Satz vor mir, den er nicht ausgesprochen hat ... oder fragt sie doch einfach.
Sie würden ja gerne antworten ...

Als er ankommt, nickt er den beiden Golems zu. »Ich glaube, euere Meister sind noch nicht ganz bereit, umzudenken ... aber denkt dennoch über mein Angebot nach. Und sie müssen ja nicht alles wissen.«

Während er redet, gleite ich unauffällig von Dostrians Golem auf den Ärmel des Meisters, wobei ich mich schnell vom Golem verabschiede.

»Soll ich sie belauschen, Meister?«

Die Antwort ist ein Kopfschütteln. »Nein. Ich werde schon sehen, zu welchem Schluss sie kommen. Wenn sie petzen wollen - was soll ich machen, sie umbringen? Sie hatten jetzt zwei Wochen Zeit, mich kennen zu lernen. Entweder, sie trauen mir zu, hier vernünftig zu sein, oder es war umsonst und dann fangen wir eben von vorne an, unter erschwerten Umständen, was solls.«

»Aber täte es dir nicht Leid?«, wage ich einzuwenden.

Der Meister bleibt kurz stehen und dreht sich um, aber die Freizeithalle ist schon weit zurück.

»Nett sind sie ja schon«, sagt er schließlich.

---

Bis zu einem Abend drei Tage später hatten wir keine große Gelegenheit mehr, mit den anderen Novizen zu sprechen, aber auch wenn sie nicht eines Morgens mit ihren Golems vor der Tür standen, mit der Bitte ihnen das Sprechen beizubringen, ist wenigstens auch nichts Schlimmes passiert. Noch nicht. So ist es die routinierte Langeweile. Ingkrias list mal wieder in dem Folianten. Wann immer er tief in der Lektüre versunken ist - also quasi jederzeit - werde ich seinem Papiergolem bedeutungsschwere Blicke zu. Und das eine oder andere Lächeln. Dieser schickt ab und an ein krudes Grinsen, auf seinen Bauch gepinselt, zurück.

Hat er jetzt langsam alle Flüche durch? Nach Widerstandsschwund gibt es nicht mehr viel. Wie kann man bloß eine ganze Stunde über kreuzlangweiligen Experimenttabellen hängen? Die Verstärkung durch speziell verzauberte Amulette und Stäbe verläuft nicht linear zur Potenz des Zaubers. Punkt.

Vielleicht sucht er nach dem Grund?

Es ist Magie, manchmal haben Dinge keinen rationalen Grund! Wenn er noch ein wenig länger an den Ausreißern der Statistik hängt, findet er womöglich noch heraus, dass bei manchen Testsubjekten die Wirkung reproduzierbar gefünftelt wird. Dann sitzen wir noch drei Stunden hier und nichts passiert!

Warum wurmt dich das jetzt auf einmal so? Du hattest doch letztes Mal auch keine Probleme damit, jeden seiner Augenzucker akribisch festzuhalten, als er endlos seine eigenen Ergebnisse mit denen des Generals verglichen hat. »Position der Blutspritzer«, ernsthaft? So will er den Rückstoßschaden von Eiserner Jungfrau quantifizieren?

Das war eine gute Idee. Aber vielleicht, nur vielleicht, habe ich auch einfach keine Lust mehr, ebenfalls diese immer gleichen Tabellen anzustarren, weil sie mich daran erinnern, dass jemand anderes auch eine sehr gute Idee hatte. 'Den Elementarwiderstand meines Golems kann ich beliebig anpassen', lautete sie. 'Ich sollte ihn verfluchen und dann mit einer ganzen Reihe von Feuerbällen bewerfen'.

Oh.
Das ... tut mir ...

Sei einfach still und vergiss was ich gesagt habeeeeh er blättert um neues Kapitel großartig, darauf hat er sicher keine Lust und du kannst meinetwegen mit seinem Golem palavern. Vielleicht lernst du ja mal, deinen Namen ohne Fehler zu schreiben. Oh warte! Du hast keinen Namen!

Schlag nur unter die Gürtellinie, ich sagte doch schon, es tut mir Leid. He, was ist das nächste Kapitel eigentlich? Beschwörungszauber?

»Von der Seelenwanderung: Die wahre Macht Trang-Ouls«

Oh. Das ist ... nicht ganz, was ich erwartet hätte. Und Ingkrias geht es da ähnlich. Er reagiert wirklich auf diesen Titel, mit ganz offensichtlicher Überraschung und so etwas wie ... nein, garantiert. Schrecken. Gehetzt fährt sein Blick durch den Raum. Dann saugt das Papier ihn an, fester denn je. Sein Augen fahren in einer komplett ungeahnten Geschwindigkeit über die Seiten. Was steht da? Schnell mache ich mich daran, den Inhalt zu verarbeiten.
Trockene Theorie über das Wesen der Seelen. Nennung einiger Quellen, die vermutlich zu diesem Zeitpunkt schon längst nur noch in Form der Fußnoten in dem Wälzer vor mir existieren. Dennoch winkt Ingkrias hastig seinen Golem zu sich.

»Zeit?«

Eine fast durchgelaufene Sanduhr erscheint auf der Brust des Papierdieners. Ingkrias flucht halblaut etwas Unverständliches in vermutlich seiner Muttersprache. Dann wirft er dem Golem schnell einige ausgewählte Quellentitel hin. Doch erhaltene Schriftstücke, tief in den sicherlich gewaltigen Bibliotheken der Nekromantenstadt vergraben? Aber woher weiß er, welche von ihnen es noch gibt?

Danach wählt er nicht aus. Es sind die, denen der alte General die größte Richtigkeit zuspricht.

Huh, tatsächlich. Er ist ein extrem schneller Leser, wenn er will. Du übrigens auch.

Ja, ja. Jetzt blätter weiter! Es wird spannend!

Als würde er darauf hören, fährt die knorrige Hand des alten Meisters über die Seite - und verknickt das Papier. He! Soll ich ihn daran erinnern, dass das Buch einen Wächter hat?

Bloß nicht, sonst hört er auf! Sieh die Doppelseite an! Merk sie dir auch!

Aber ... die ist doch ohnehin unterbewusst gespeichert ...

Doppelt hält besser! Los!

»'Der Drache in alten Bildwerken der Barbaren' ... 'Überlegungen zur Wiedergeburt' ... 'Das ewige Leben: Beispiele und Weiterführung' ... Autoren ... Zeit!«

Die Sanduhr ist leer. Wieder flucht Ingkrias. Wieder blättert er etwas zu hastig um.

Auf der nächsten Seite prangt ein Symbol. Halbseitig. Mit Akribie gezeichnet, klare Linien, darunter lang und breit beschrieben. Ein perfekter Kreis, mit stilisierten Schuppen besetzt, an einer Stelle unterbrochen durch einen Echsenkopf, der das Maul geöffnet hat, um den Kreis wieder zu schließen. Gegenüber liegt der dazugehörige Körper, gebeugt, der Rücken ist die Kurve des Kreises. Über den Bauch ist ein Flügel ausgebreitet, dessen Enden oben den Kreis berühren. Der andere Flügel liegt unter dem Körper, nach vorne gestreckt, symmetrisch zum anderen ... aber unten auf dem Kreis ruhen nur die Gelenke, denn dieser Flügel ist skelettiert. Zwischen ihnen, eine Scheibe in der Schwebe.
Der Drache, der sich in den Schwanz beißt ... tot und lebendig zugleich. Die Scheibe wäre, wenn dies keine Zeichnung wäre, sondern zum Beispiel ein Amulett, eine Kugel. Die Welt. Trang-Oul ...

Ein Amulett, oder ...

Während der Papiergolem auf Anweisung schleunigst das Symbol abzeichnet, fällt es mir ein. Oder eine Gürtelschnalle, natürlich. Ja, du hast Recht, jetzt will ich aber auch genau lesen, was da steht. Bevor der Foliant zugeklappt wird, sehe ich mir die Seiten bewusst an und präge sie mir gut ein.

Vielleicht sind deine wirren Ideen ja mal für etwas gut. Wenn er weg ist, überzeugst du seinen Golem, dass er bewusst wegschaut, und wir lesen das ganze Kapitel.

Das schaffe ich. Die Frage ist nur, wenn er heute der letzte ist, warum hat er sich dann ein Zeitlimit gesetzt?

Ach, verdammt ...

Liegt dir gar nicht nahe, so etwas zu übersehen. Warum bist du deswegen gleich gar so aufgeregt? Wir haben wann anders sicher auch noch Zeit, das zu lesen. Die Seitenzahl wissen wir jetzt ja.

Verstehst du nicht? Es geht hier über etwas, das sich Seelenwanderung nennt, und den Drachen der Wiedergeburt. Das ist, was wir suchen!

Was ... du meinst, eine Möglichkeit, die Hölle zu überlisten?

Ja, du Schnellmerker!

Ich weiß nicht, ist das nicht ein wenig weit hergeholt? Vielleicht ist das ja nur eine staubtrockene Dissertation über verschiedene Möglichkeiten, die Religion der Rathmaner wissenschaftlich zu fundieren. Übertreibst du da nicht ein wenig? Oder weißt du etwa schon genauer, was da drin steht, wie beim letzten Kapitel auch?

Nein, das ist mir neu ... ich meine nur ...

Da betritt jemand den Raum. Gerade hat Ingkrias es noch geschafft, ein hastiges Protokoll über die Funde des Tages - natürlich ausgeschlossen des gerade eben erfolgten - abzugeben.

»Guten Abend, Meister Ingkrias«, sagt - Meister Valtores. Bewusst neutral, wie immer.

»A-abend«, erhält er als Antwort. Der Jüngere legt den Kopf schief. »Ist etwas nicht in Ordnung, werter Kollege?«

»Ich ... habe nur die Zeit vergessen, Valtores. Es ... war eine spannende Lektüre.«

»Soso«, gibt der aufrecht stehende und damit deutlich den anderen überragende Meister zurück. »Braucht Ihr denn noch etwas Zeit, um das Protokoll ordentlich zu verfassen? Da ich heute der Letzte bin, bin ich nicht in Eile.«

»Nein ... nein, das sollte so passen, vielen Dank. Es ist spät. Ich werde mich hinlegen. Gute Nacht.«

Mit einem höflichen Gruß verabschiedet Meister Valtores ihn. Der Papiergolem verlässt natürlich auch die Stube. Des Meisters eigener Golem betritt sie stattdessen - alle gleichzeitig wäre ein wenig eng. Es ist ein Blutgolem. Ungewöhnlich. Kein anderer Meister hat einen.

Meister Valtores hält kurz Ingkrias' Protokoll hoch, schüttelt den Kopf und legt es wieder zurück. Er geht auf das Buch zu, scheinbar in Gedanken. Sein Golem bleibt nicht in der Ecke stehen, sondern folgt schräg hinter ihm.

Die Hand des Meisters landet auf dem Folianten, meiner gegenüber. »Du erinnerst dich, an welcher Stelle ich zuletzt gelesen habe?«, fragt er mich, wobei er mir in die Augenhöhlen sieht, als würde er darin etwas suchen. Ich nicke, und schlage die Seite auf. Sein Blick verharrt unangenehm lange auf mir, dann, endlich, fällt er auf das Pergament.

Das gefällt mir nicht. Er wirkt so ... zerstreut.

Tatsächlich denke ich nicht, dass Meister Valtores viel in der Geheimen Kunst liest. Er blättert zu schnell, überfliegt die Seiten nur lose ... gut, die Prosa des alten Generals ist nun wirklich nicht besonders aufregend, aber das sollte ihn ja nicht stören ...

Da hält er inne. Streicht über die Ränder der Seiten. Schlägt sachte eine auf ... und das Emblem von Trang-Oul starrt mir wieder entgegen.

»Da soll mich doch ... « murmelt der Meister, während er sorgfältig das Eselsohr glattstreicht, das Ingkrias hinterlassen hat. Als er hingegen das Symbol sieht, hört er damit auf. Reagiert nur wenig gelassener. Wirft einen Blick zur Tür ... oder besser, darüber hinaus. Dem Kollegen hinterher. Und dann landet dieser durchdringende Blick wieder in meinem Gesicht.

»Golem, du bist weit schlauer, als du dich gibst, nicht wahr?«


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