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Ich denke, also bin ich

von Simon Salzl aka TwinYawgmoth

Teil 5 - Trang Ouls Triumph

Epilog

Der Botschafter von Entsteig hatte einen grauenhaften Tag.
Endlich, nach Stunden hochkonzentrierter Selbstkontrolle, mühsam aufgesetzter Freundlichkeit und Floskeln, so vielen Floskeln, ist er wieder allein in seinem Büro und kann sich entspannen. Nachdem er die Tür versperrt hat, empfängt der übergroße Stuhl seinen übergroßen Leib in komfortabler Umarmung.
Aber seine Arbeit ist immer noch nicht zu Ende, nicht wahr?
Er seufzt schwer, reibt sich den Schweiß aus den buschigen Augenbrauen, und beginnt im Licht der flackernden Kerze zu schreiben.

Mein Freund,
ich habe ihn getroffen, Dorelem, den Schlächter. Er ist hier, in Duncraig! Ich konnte es nicht glauben! Dachte, es wäre vorbei. Aber ich habe es geschafft - seine Bedenken zerstreut! Konnte ihn überzeugen, dass dieses Drecksloch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war während der Monate der Machtergreifung, verflucht sei Dorelems Name auf alle Zeit für ihre Verhinderung. Keine Diener der Hölle hier, nein, nur normale Halsabschneider und korrupte Politiker. Wobei er offenbar selbst schon darauf gekommen ist, dass er umsonst hierher gekommen ist - natürlich hat er mich hauptsächlich nach Entsteig gefragt. Da soll er meinetwegen suchen. Ich konnte ihm ein paar Namen nennen, die ihn beschäftigen sollten, wenn er tatsächlich dorthin weiterzieht. Richtige Schurken, nur eben nicht unsere Schurken.

Etwas von der Anspannung des Tages fällt von dem Botschafter ab. Sogar ein leichtes Lächeln schleicht sich auf die fleischigen Lippen, als er seine Feder immer tiefer in das Tintenfass tunkt, immer gehetzter kritzelt.

Aber wenn alles gut läuft, kommt er dort ohnehin nicht an. Denn ich habe etwas gesehen, das ich nicht glauben kann - der Seelenstein unseres Herrn existiert noch! Ja, Baals kadmiumgelbes Gefängnis ist tatsächlich immer noch in Dorelems Besitz! Er trägt den Stein in einer Kette um den Hals, in einem Moment seiner Unachtsamkeit erspähte ich den Kristall unter seinem Hemd!
Das kann eigentlich nur eines bedeuten: er beginnt bereits, dem korrumpierenden Einfluss des Herrns der Zerstörung zu verfallen. Wir müssten also nur Geduld haben, und unser Meister kehrt aus eigener Kraft zurück.
Aber ich habe einen besseren Vorschlag. Noch kann Baals Einfluss auf ihn nicht allzu stark sein, sonst wäre Dorelem nicht weiter so effizient dabei, unsere Reihen auszudünnen. Es sei denn, unser Meister nutzt diese Gelegenheit bereits, die zu entfernen, welche ihm noch nie loyal genug waren ... dann hat er mich verschont, und ich sollte mich glücklich schätzen.

Der Botschafter zügelt seinen Schreibwahn kurz, um aus dem Osten importierte gezuckerte Früchte zu naschen. Er leckt sich tief in Gedanken die Finger ab - dann zuckt er mit den Schultern und schreibt weiter.

Nichtsdestoweniger sollten wir eigene Schritte unternehmen. Wenn wir den Seelenstein an uns bringen, dann könnten wir Baal einen noch ganz anderen Dienst erbringen - und selbst sein Avatar auf Sanktuario werden! Also, einer von uns. Dies können wir noch besprechen. Aber ich weiß, wie sehr du dich verdient gemacht hast um unsere Sache - wenn der Seelenstein dich wählen würde, stünde ich dir keinesfalls im Wege.

Der Botschafter kichert kurz.

So oder so ist es viel sicherer für alle Beteiligten, wenn Dorelem kein Teil der Rückkehr unseres Herrn ist. Viel zu lange konnte Tal Rasha Baal in sich einsperren, wer weiß, wie lange es dauert, bis der Schlächter seinen Kampf verliert? Und gegen wen er während dieses Weges ausschlagen wird?
Nein, ich sage dir, was wir tun werden. Ich schicke sofort einen meiner Viz-Jaq'taar, um ihm zu beobachten, mit der strengen Anweisung, Dorelem sofort zu töten, wenn er etwas tut außer nach Entsteig zu reisen. Derweil warte ich auf deine Antwort - ich hoffe, dass du meiner Einschätzung der Situation zustimmst. Dann ist es ein Wort von mir, mein Attentäter schlägt zu und bringt uns den Stein!

Atonales Pfeifen entweicht den leicht bespeichelten Lippen.

Und falls du jetzt befürchtest, dieser Diener könnte selbst unter Baals Einfluss geraten, weil er nicht weiß, womit er es zu tun hat - keine Sorge, denn ich werde alle Fliegen gleichzeitig erschlagen! Meine Assassinen sind naive Idioten, sie tun alles, wenn sie denken, es ist für eine "gute" Sache. Ich werde ihm die Wahrheit sagen! Dorelem trägt Baals Seelenstein, deswegen muss er getötet werden, bevor er dessen Einfluss verfällt. Unter größter Vorsicht muss der Stein dann an mich übergeben werden, der Assassine ist also persönlich hier, und sogleich werde ich ihn beseitigen und wir können unserem Herrn durch unsere Körper eine zweite Chance geben, Sanktuario zu erobern! Sorge dich also nicht - der gleiche Plan hat schließlich schon einmal fabulös funktioniert. Natalya hat getan, was man von ihr verlangt hat, und darum ist der Weltstein jetzt Geschichte. Und bald sind es der Schlächter und der Rest des himmlischen Abschaums auch!
Mit größter Hoffnung auf eine fantastische Zukunft,
Antolov.

Der Brief wird gefaltet, versiegelt, und ein Diener gerufen.
"Dieser geht an Lord Mandaron! Mit allergrößter Eile!", spuckt Antolov.
Erst als die Schritte des Dieners im Gang verhallt sind, holt er sich ein zweites Blatt Papier - aus einem versteckten Fach ganz hinten in einer Schublade. Es sieht normal aus, aber ein kurzer Blick mit dem Licht der Kerze dahinter zeigt das Muster, das leicht dickere Stellen darin formen. Nur so wird der Viz-Jaq'taar wissen, dass die Anweisungen echt sind.
Antolov tunkt die Feder ein ...
"Das wird nicht nötig sein", fährt ihm eine Stimme bis in jedes Nervenende, und Tinte gießt sich über den Schreibtisch.
"Was ... wer?", stammelt er, aber er weiß es natürlich, er erkennt die Stimme. Sie hat sich ihm den ganzen Tag über in die Ohren gebrannt, die vor Schuld nur so glühten.
"Der Schlächter, nanntest du mich? Was für ein martialischer Titel. Und falsch dazu. Schlachten tut man Nutztiere, und man gewinnt wertvolles Fleisch. Was ich tue ist keine Metzgerarbeit, sondern die eines Kammerjägers - ich vernichte Ungeziefer."
Langsam wandert Antolovs Hand das weite Feld seiner Hüfte hinab, einen versteckten Dolch suchend.
"Dorelem ... ich weiß nicht, warum Ihr Euch hier irgendwo verborgen habt, um mir einen solchen Schreck einzujagen, aber bitte, lasst uns doch offen reden." Er leckt sich die Lippen, während seine Augen suchend durch den Raum zucken.
"Oh, sehr gerne. Du kannst damit anfangen, mir noch mehr Namen außer den von Lord Mandaron zu verraten. Ich gestehe, dass ich diesen nicht einmal kenne, aber dein Diener wird mir schon verraten, wo ich ihn finde, keine Sorge - der Brief befindet sich garantiert bereits in den sicheren Händen meiner Freundin Golanthe."
"Dorelem, ich kann das alles erklären. In Ruhe, Angesicht zu Angesicht."
Er hievt sich aus dem Stuhl und breitet die Arme aus. Der Dolch ist mittlerweile in den Falten seines Ärmels.
"Wir hatten so einen schönen Tag miteinander - warum sollte er so enden?"
"Du wirst es nicht bis zur Tür schaffen", warne ich, ihn ignorierend. "Schon gar nicht, so fett wie du bist."
"Das werden wir ja ... ", keucht Antolov plötzlich, aber bevor er auch nur einen Schritt machen kann, schlingen sich mächtige Arme um ihn, packen den Dolch und halten ihn an seine Kehle.
Das Regal hinter ihm, samt den Büchern darin, hat sich von der Wand gelöst und menschliche Form angenommen.
"Die Macht des Wortes ist heute wirklich nicht auf deiner Seite, was?", höhne ich. "Mein Golemkörper aus deiner Bibliothek, und dein vergifteter Brief mehr als genug Beweis, um dich zu überführen."
Er wird etwas ruhiger in meinen Armen. "Briefe kann man fälschen, das weißt du? Hör zu, ich habe mächtige Freunde an höchsten Stellen. Du kannst es ruhig versuchen, mich anzuklagen, aber dir wird es nie gelingen mich hinter Gitter zu bringen, bevor ein Schatten in der Nacht dein stilles Ende bringt!"
"Ja, zumindest einen deiner Freunde werde ich mir als nächstes vorknöpfen. Möchtest du nicht noch einen von ihnen mit der Bitte um Hilfe anschreiben, genau jetzt? Ich besorge dir sogar neue Tinte!"
"Du unverschämter Sohn einer räudigen Hündin! Zur Hölle mit dir! Wir werden schon sehen, was mit dir passiert, wenn du versuchst, mir etwas anzuhängen! Wie kommst du überhaupt darauf, deine dreckige Nekromantie in meinem Büro zu hinterlassen?"
"Ganz einfach, du Made. Vielleicht hättest du etwas schlauer sein sollen, als deinen richtigen Namen sowohl als Botschafter als auch als Befehlsgeber deiner Gruppe von Viz-Jaq'taar zu benutzen. Ich gebe zu, selbst mit Natalyas Erwähnung desselben habe ich ein paar Monate gebraucht, um dich zu finden. Aber dann war es leicht, du hast sogar die gleiche Tarnung wie sie gewählt - Gesandter einer anderen Nation!"
"Natalya", spuckt er, und ich wische Speichel aus meinen Seiten. "Aber die Hure ist tot, oder?"
"Ja, ist sie", gebe ich mit einer Dunkelheit in der Stimme zu, die ihn erzittern lassen sollte. Stattdessen lacht er.
"Großartig! Du Narr, was willst du denn dann überhaupt tun? Meine größte Sorge war, dass sie noch leben könnte - aber so? Hörensagen einer Toten, ein wertloses Stück Papier, und du kannst meinetwegen auch erklären, dass du einen Golem hierher geschickt hast, um mein Geständnis einzuholen. Das wird das Gericht freuen! Wie viel amateurhafter kann man sich anstellen?"
Mein Griff um seinen Hals wird fester - ich hätte längere Arme für einen Nacken wie diesen erschaffen sollen ...
"Ja, das ist ein Problem, nicht wahr?", sage ich unschuldig. "Besonders erfahren in solch politischen Spielen bin ich wahrlich nicht. Das hat mich auch schon ab und an etwas stolpern lassen in meiner Mission, auch den letzten von euch dreckigen Kollaborateuren der Gerechtigkeit auszuliefern.
Aber das ist eigentlich auch egal. Immerhin habe ich bemerkenswert viel Erfahrung, über vierzig Jahre um genau zu sein, im Morden." Jetzt fängt er an zu zittern.
"Das kannst du nicht tun! Ich ... ich habe dich reden hören! Du erzählt jedem, der es wissen will oder auch nicht, wie du über das Böse triumphiert hast - indem du deinen Prinzipien treu geblieben bist, und nicht zu einem der Monster wurdest, das du bekämpft hast! Kaltblütiger Mord an einem Unbewaffneten ... aus dir spricht Baals Geist! Ja, genau! Du hast es gelesen, der Seelenstein um deinen Hals, er korrumpiert dich! Leg ihn ab, komm zu Sinnen, und verschone mich!"
"Dabei ist er so praktisch ... ", murmle ich. "Ein Blick darauf, und Abschau wie du verrät sich sofort."
Ich lockere meinen Griff.
"Pass auf, du Schleimbeutel. Ich gebe dir eine Chance, deine Haut zu retten. Nenn mir Namen, mindestens fünf, und ich bringe dich vor Gericht statt unter die Erde."
"Lass mich los!", herrscht Antolov. Ich tue es. Er wendet sich dem Schreibtisch zu. "Fünf Namen? Ich gebe dir ..."
Ein weiterer Dolch, der dort irgendwo versteckt gewesen sein muss, landet in der Bücherbrust des Golemkörpers. "Grüße der Hölle!", brüllt er, und tritt mich mit voller Wucht seines massigen Körpers zurück, womit ich nicht gerechnet habe. Er dreht sich um, rennt zur Tür, bereit, das ganze Personal der Botschaft zusammenzuschreien ...
Läuft gegen eine Knochenwand.
Ich dränge ihn dagegen. "Ich bitte dich. Hast du wirklich geglaubt, das würde funktionieren?"
Ohne großen Aufwand packe ich ihm am Hals, halte vom Nacken dagegen und schleife ihn zurück an den Tisch.
"Briefe kann man fälschen, ja?"
Ich reiße eine leere Seite aus mir und beginne, sie mit einem Finger zu beschreiben. Ein netter Trick, den ich von Ingkrias' Golem beigebracht bekommen habe.

Es ist aus. Dorelem hat meine Machenschaften als Diener Baals aufgedeckt. Ich weiß, dass mein Weg aller Wahrscheinlichkeit nach in die Hölle führt, aber dennoch spende ich mein gesamtes Vermögen den Waisenhäusern dieser Stadt. Möge trotz allem der Himmel mir gnädig sein.
 
Botschafter Rantelid Antolov

"Eine akzeptable Imitation deiner Schrift, nicht wahr?"
Endlich lockere ich den Griff um seine Kehle, aber nur, um den Dolch anzusetzen.
"Irgendwelche letzten Worte, bevor du 'den Freitod wählst'?"
"Es ist Baal, der aus dir spricht! Der Seelenstein ... lass ihn nicht über deine Prinzipien ..."
"Prinzipien? Ha, du hörst dich an wie ein verdammter Erzengel. Lass mich dir was erzählen über Prinzipien. Es ist wichtig, welche zu haben. Es ist auch wichtig, alles zu tun, um sie nicht brechen zu müssen.
Und das tust du gerade, oder? Du hattest gerade mehrere Gelegenheiten, dein Leben zu retten, und alles was du tun musstest, wäre gewesen, ein paar andere von Baals Dienern zu verraten. Du glaubst aber wirklich an deine Sache! Beinahe löblich. Oder du kennst gar nicht mehr außer deinen einen Freund. Wer weiß, interessiert mich jetzt auch nicht mehr.
Denn letzten Endes muss ich Folgendes bedenken: du hast völlig Recht. Wenn ich dich laufen lasse, wirst du alle Hebel in Bewegung setzen, um meine Anklagen zu diskreditieren, mich in Verruf zu bringen und bei Gelegenheit zu ermorden. Das gefährdet nicht nur mich, sondern auch die Frau, die ich liebe, und nebenbei jeden Menschen mit einem Funken Anstand, den ich versuche vor deiner Sorte zu retten.
Wenn ich das riskiere, bin ich zwar prinzipientreu, aber auch ein rechter Narr.
Desweiteren ist das Ermorden eines unbewaffneten Mannes ekelhaft, korrekt. Du hattest aber schon zwei Dolche in der Hand heute. Macht es viel leichter.
Oh, und völlig vergessen! Du hast meine gute Freundin Natalya benutzt, um Baal den Weg zum Weltstein zu öffnen. Sie ist deswegen tot, hunderte Barbaren auch, und der wichtigste Mensch in meinem Leben, mein ehemaliger Meister und der größte Held Sanktuarios, Purasol! Wenn du ihn in der Hölle triffst, sag ihm ganz wunderschöne Grüße von mir. Und richte ihm aus, dass ich immer noch nach Wegen suche, ihn zu retten!"
Der Dolch fährt tief in Antolovs Kehle. Ich gebe mir Mühe, nicht zu viel Blut auf den von mir verfassten Abschiedsbrief gelangen zu lassen.
Während er gurgelnd verreckt, flüstere ich ihm noch einmal ins Ohr.
"Und der Seelenstein um meinen Hals ist natürlich aus Glas, du Narr."
Nachdem seine Leiche zusammengesackt ist, lege in den Dolch in ihre Hand. Verstreue die blütigen Bücher meiner Arme über den Tisch, den Rest im Raum, als hätte er sie in ohnmächtiger Wut überall hingeschleudert.
Das erste Klopfen an der Tür verrät mir, dass sie ihn schon sehr bald finden werden, aber ich bin beinahe fertig. Nachdem nur noch ein Holzskelett von mir übrig ist, stelle ich mich zurück an die Wand - und gebe die Kontrolle über den Golemkörper wieder auf. Er sollte wieder als Regal stehen bleiben, auch das habe ich mir mühsam antrainiert.

Später am Abend übergibt mir Golanthe den Brief an Lord Mandaron. Ich bedanke mich artig.
"Habt ihr herausfinden können, wer und wo er ist?", fragt sie uns.
"Deckard kennt ihn persönlich, was mich nicht wirklich überrascht", antwortet die wunderbare Frau an meiner Seite. "Die Jagd geht also weiter. Aber das vertagen wir auf nächste Woche. Dorelem und ich haben beschlossen, uns eine kleine Auszeit zu gönnen - hinter Antolov waren wir wirklich schon viel zu lange her, es tut so gut, das hinter uns zu haben."
"Was bedeutet 'Auszeit' für euch?", fragt Golanthe mit schief gelegtem Kopf. Lixt wird täglich besser in ihrer Nekromantie, aber noch hat sie ihrem Golem noch keine wirklich zufriedenstellende Mimik verpassen können. Wir sind am Überlegen, ob wir mit einem Blutkörper experimentieren sollen, aber nur, wenn ich es schaffe, das Band zu brechen. Golanthe muss nicht alles spüren, was Lixt so erlebt ...
"Wir nehmen uns ein paar Tage für Nekropolis", bestätige ich ihre unausgesprochene Hoffnung. "Valtores hatte in seinem letzten Brief Recht - er hat soweit alle Fraktionen gut unter Kontrolle, aber ich muss mich wirklich wieder persönlich blicken lassen, um die Golems etwas zu beschwichtigen. Wir arbeiten immer noch, auch auf der Reise, mit Hochdruck an einer Lösung, und das weißt du - aber aus meinem Mund klingt das einfach viel überzeugender."
Golanthe strahlt mich übertrieben euphorisch an. "Das ist großartig! Soll ich ..."
"Ja, es wäre nett, wenn du uns ankündigst", lächle ich zurück. Als sie sich auf den Weg zum nächsten Wegpunkt macht, suche ich Lixts Hand.

Ein paar Stunden später sind wir immer noch wach, aber wieder angezogen. Ich streiche Lixt über ihre schulterlangen, pechschwarzen Haare. Sie meinte, sie lässt sie wahrscheinlich doch auf dieser Länge - hat sich zu sehr daran gewöhnt, dass sie kurz sind. Ich finde es ja schade, weil ich so lange davon geträumt hatte, eine noch viel größere Pracht durch meine Finger gleiten zu lassen ... aber natürlich ist das ihre Entscheidung, und mir gibt es viel mehr, wenn sie glücklich ist.
"Was meinst du, wie lange es noch braucht, bis wir eine Lösung gefunden haben?", murmelt sie.
"Ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass du mich nicht mehr fragst, ob ich glaube, dass es überhaupt eine gibt", necke ich.
"Was soll das heißen? Ich vertraue dir doch!"
"Weiß ich doch, meine Liebe. Und das ist mir unendlich viel wert. Tut mir Leid."
Sie rollt mit den Augen. "Wenn du mich anpflaumen darfst, darf ich das auch. Komm her."
Ein Kuss von ihr beendet das Thema.
"Aber wirklich", greift sie es danach trotzdem wieder auf. "Was wirst du ihnen sagen?"
Ich seufze. "Meine Sorge ist im Moment vor allem mein Körper. Du merkst es ja schon an Golanthe - so sehr sie es verleugnet, sie ist schlicht und einfach neidisch. Weil ich jetzt ein Mensch aus Fleisch und Blut bin und sie und alle anderen Golems eben nicht. Und wenn sie sich schon so fühlt, wie soll es dann einem gehen, dessen Meister immer noch nicht verstanden hat, dass Golems ihre eigenen Leben haben ..."
"Aber du sagst doch immer ..."
Ich hebe eine Hand, wieder aufs Neue verärgert, dass ich die Finger nicht ganz ausstrecken kann. "Ja, der Körper sollte egal sein, das ändert an dem Fakt ihrer eigenen Seele und Menschlichkeit nichts. Trotzdem schwer zu vermitteln, wenn ich vor ihnen stehe und mein Herz schlägt, meine Lungen saugen Luft ein. Täglich verfluche ich Tyrael, dass er mir das so schwer gemacht hat. Und danke ihm dann doch wieder dafür, dass ich weiß, wie dein Mund schmeckt."
Ihre Finger schlingen sich um meine. "Du weißt, ich habe mich in dich verliebt, als du noch ein Golem warst."
Ich weiß, und doch bleibt in mir immer der Samen des Zweifels, wie es gewesen wäre, wenn ich auch einer geblieben wäre. Und wie sehr ich mir wirklich wünsche, dass ich diese Gewissheit hätte, dass ich dieses Opfer hätte bringen können. Verdammt, ist das Leben, das wirkliche Leben, kompliziert.
Statt das auszusprechen, denn ich vermute, hoffe, dass sie es ohnehin weiß, weil sie mich versteht, küsse ich sie einfach. Vergesse so für einen Moment meine Sorgen. Weil ich das endlich, endlich, kann.
Und bei allem, woran ich glaube - dieses Geschenk werde ich auch an meine Brüder und Schwestern in weitergeben, die noch in den Ketten ihrer Meister gefangen sind. Irgendwie.
Plötzlich erfüllt gleißendes rotes Licht den Raum. Ich zucke zusammen und löse mich von Lixt; um uns beide wachsen Knochenrüstungen. "Oh, habe ich da etwas unterbrochen? Das tut mir wirklich Leid! Ha, hätte schlimmer sein können, schätze ich ... ", hallt eine Stimme durch das Zimmer unserer Herberge.
Die Stimme.
"Ich glaube es ja nicht", sagt Lixt tonlos. In ihrer Stimme ist genug Eis, um einzufrieren, was hinter dem Portal liegt, das vor dem Bett aufgetaucht ist.
Die Flammen der Hölle züngeln im Hintergrund. Und auf einem Thron aus Knochen sitzt Purasol. Ich bin sprachlos.
"Hallo, Lixt!", grüßt er fröhlich. "Schön, dich wiederzusehen - dann kann ich mich gleich persönlich bei dir entschuldigen. Ich weiß, ich hab viel Mist gebaut ... aber ich arbeite daran, zumindest einen Teil davon gutzumachen. Dorelem! Steht dir, mein Körper!"
Sein Körper hingegen ... oder was in der Hölle als solcher durchgeht ... das Gesicht ist schon noch zu erkennen, aber das Drumherum, das ist dämonisch. Harte Muskeln, die er als Mensch nie hatte, grotesk übertriebene sogar, unter Knochen, die ihn überziehen als hätte er ein Exoskelett. Dies hingegen völlig menschlich wirkend, bis hin zum runden Schädel, der wie ein Helm seinen Hinterkopf umgibt. Keine übertriebenen Stacheln oder sonstige bei Dämonen so üblichen Ornamente - nur überlebensgroß ist es. Feingliedrige Knochenfinger trommeln gegen eine beinerne Schläfe, während er mich zu breit und zahnig angrinst. Der Umhang, den er trägt, ist blutrot und reich bestickt, fast schön.
"Ja, ich musste mich etwas der Mode anpassen", beantwortet er meine Gedanken. "Aber das ist schon in Ordnung so, man gewöhnt sich schnell daran. Und so wirklich daran gebunden ist man ohnehin nicht."
Ich bin völlig überrumpelt. Dachte, ich müsste irgendwann, irgendwie eine Rettungsaktion starten, die Hölle selbst stürmen, und jetzt sitzt er hier ... und es geht ihm ... blendend?
Was ist da los?
"Was ... willst du von mir?", frage ich vorsichtig.
"Mit dir reden, alter Freund!", strahlt Purasol. "Wusstest du, dass ich schon lange auf der Suche nach einer Möglichkeit war, mit dir Kontakt aufzunehmen? Und heute, endlich, habe ich diese bekommen! Vielen Dank übrigens für die netten Grüße, und der Übermittler war natürlich ein ganz besonderes Geschenk."
Der "Blick" des Portals wandert zur Seite, wo an einem besonders stabilem Kreuz ein besonders unglücklich aussehender Antolov hängt, der gerade von einer Sukkubus ausgepeitscht wird. Dann sehe ich wieder Purasol.
Bevor er mich mit neuen Details verwirren kann, spreche ich es aus.
"Was ist passiert, nachdem du gegen Baal gestorben bist? Wie kommst du zu der ruhigen Position, in der du dich offenbar befindest?"
"Oh, das war natürlich nicht immer so", erklärt er mit nachdenklichem Blick in die Ferne. "Gleich nach meiner Ankunft hier unten hat mich Belial ganz schön in die Mangel genommen, das kannst du mir glauben. Aber er wusste natürlich, was er an mir hatte, also war das der Hölle sei Dank kein allzu lang anhaltender Zustand. Er hat mich, wie vesprochen und geplant, zum General in seiner Armee gemacht, und nach kürzester Zeit hatten wir Azmodan besiegt. Ein Glücksgriff war es dennoch, dass wir ihn hierher geschickt hatten, um Belial etwas aufzuhalten - sonst hätte dieser mich ja nie so viele Streitkräfte befehligen lassen.
Weißt schon, Armeen aus untoten Rittern ... feurigen Skelettbogenschützen ... weißt du auch, dass die Entleibung meiner Nekromantie nicht wirklich geschadet hat?
Nun, langer Rede, kurzer Sinn ..."
Der Blick des Portals schwenkt auf einen besonderen untoten Ritter in roter Rüstung, der mir sehr bekannt vorkommt.
"... grüß Belial, meine rechte Hand."
Dieser verbeugt sich vor mir. "Wie immer ist es mir eine Ehre, mein alter Widersacher."
Lixt sieht entsetzt von mir zu Purasol und wieder zurück. "Du glaubst wirklich, dass du ihn unter Kontrolle hast, General? Den Herrn der Lügen?"
"Purasol", füge ich betont hinzu, wobei ich Lixts Zorn auf ihn natürlich sehr gut verstehen kann, "dir muss doch klar sein, wie überheblich das schon wieder ist?"
"Ach, ein wenig Überheblichkeit kann man sich in meiner Position schon erlauben", kichert er kehlig. "Im Übrigen habt ihr es beide falsch gemacht - man gab mir hier einen neuen Namen, der Hölle angemessener. Ich finde ihn allerdings wirklich sehr passend. Nennt mich bitte Luzifer."
Ich reibe mir die Stirn. "In Ordnung. Pass auf, ich sollte wirklich glücklich sein, dich so putzmunter zu sehen, aber du wirst eine gewisse ... Skepsis ... verstehen?"
"Oh, natürlich, ich würde mir auch nicht sofort vertrauen!", antwortet Purasol ... Luzifer ... fröhlich. "Aber ich hoffe doch, dass wir ein solches Verhältnis wieder aufbauen können. Denn ich habe große Pläne, die dir eigentlich auch zusagen sollten. Bevor ich aber dazu komme, möchte noch jemand Hallo sagen. Vielleicht bist du etwas gewillter, mir unvoreingenommen zuzuhören, wenn ich dir zeige, dass ich meine Pläne hier nicht alleine schmieden muss. Meine Schönste, würdest du vielleicht einen Moment von Antalov ablassen?"
Die Sukkubus, die den dicken Verräter bestraft hat, schwebt an die Seite Luzifers und schmiegt sich an ihn.
Es ist Natalya.
Ich keuche. "Du? In der Hölle?"
"Leider ja, Dorelem", erklärt sie. "Als Assassine muss man leider ein paar Dinge tun, die nicht ganz moralisch sind. Es ist ein Preis, den man zahlt ... aber es ist ja doch irgendwie gut ausgegangen, nicht wahr?"
Sie drückt Luzifer einen Schmatz auf den Schädel.
Mir ist ungut. Auch für sie sollte ich mir freuen, aber ... zwei meiner besten Freunde in Körpern von Dämonen, und der, der Purasol war ... als Herrscher der Hölle? Das ist zu viel. Ist er wirklich noch er selbst? Ist Natalya es? Hat sie diesen Körper freiwillig gewählt?
"Also, zu meinem Plan", fährt Luzifer fort. "Das wird erst einmal anrüchig klingen - aber natürlich habe ich mit dem Himmel noch eine Rechnung offen. Vor allem mit Tyrael selbst, natürlich, dieser falschen Schlange. Ich habe durch ein paar Ankömmlinge hier läuten hören, dass du auch nicht wirklich glücklich warst, wie er sich gegen Ende verhalten hat?"
"Nicht ... wirklich, nein", stimme ich reserviert zu.
"Siehst du. Und das kann so nicht weitergehen, dass sie glauben, sie könnten mit der Menschheit tun und lassen, was sie wollen. Ich habe nicht vor, dort oben alles niederzubrennen, wie es die anderen vor mir gewollt hätten, aber wenn sie mir keine Wahl lassen ... nun, wir werden sehen. Zunächst muss ich meine Macht noch festigen, aber dann können sich diese gefiederten Bastarde warm anziehen.
Und da kommst du ins Spiel. Was ich tue, ist für die Freiheit der Menschen, und das ist dir ja auch ein großes Anliegen. Kann ich auf dich zählen, wenn es so weit ist?"
Lixt starrt mich drängend an, aber das muss sie natürlich gar nicht. Ich schüttle den Kopf. "Luzifer, du kannst nicht von mir verlangen, dass ich für die Hölle arbeite. Ich arbeite gerade daran, all ihre Diener dorthin zu schicken!"
"Und das ist gute und richtige Arbeit! Wir sollten in Zukunft keine Diener mehr auf Sanktuario brauchen. Aber ..."
"Moment", fahre ich ihm ins Wort. "Wir? In Zukunft? Hast du deine Situation längst akzeptiert? Willst du wirklich für immer der Herrscher der Hölle bleiben? Des Ortes, den du seit ich dich kenne mit all deiner Seele bekämpft hast?"
"Seelen ändern sich, und Orte auch", antwortet er etwas genervt. "Die Situation ist, wie sie ist, und ich werde das Beste daraus machen. Du weißt, wie wenig ich davor zurückschrecke, auch mir persönlich unangenehme Dinge zu tun, wenn ich davon überzeugt bin, dass es für Sanktuario das Beste ist. Und so unangenehm ist das hier gar nicht ..."
Er streicht Natalya über die nackte Hüfte.
"Du suchst gar nicht nach einer Alternative, oder?", frage ich traurig. "Es geht dir gut genug. Und du bist ja pragmatisch."
"Das ist wirklich nicht das Schimpfwort, für das du es hältst, Dorelem", wackelt er mit dem Finger.
"Andere Wörter spare ich mir, mein Freund", erkläre ich. "Noch einmal - ich werde nicht für die Hölle arbeiten. Vergiss es."
"Und für mich?", fragt er.
Da, für einen kurzen Moment sehe ich etwas in seinen Augen, in seinem Tonfall.
Die Bitte.
Das Flehen.
Die Hoffnung, dass wir trotz allem, was mit uns passiert ist, doch wieder etwas sein könnten, was wir einmal waren.
Freunde.
Ich seufze.
"Das ... muss ich dann wohl entscheiden, wenn es so weit ist, nicht wahr?"
Lixt macht eine entgeisterte Geste, aber ich hebe die Hand in ihre Richtung - später. Bitte.
"Wie hast du es überhaupt geschafft, dieses Portal zu öffnen?", frage ich. Das ist mir erst einmal am Wichtigsten, er soll nicht jederzeit auf mich Zugriff haben. Das wäre völlig undenkbar.
"Nun, du trägst doch etwas bei dir, was eine doch recht starke Verbindung zu diesem Ort hat. Das war mir erst gar nicht bewusst, aber Antolov hat es bestätigt. Jetzt, wo ich es weiß und danach suchen kann, spüre ich ihn auch durch die Abschirmung der Horadrim-Würfels: Baals Seelenstein."
"Ah, ja dann." Ich erhebe mich von der Bettkante, auf der ich saß, und gehe zum Würfel, hole dein Stein aus dessen unmöglichen Tiefen hervor.

Mein Freund! Der Weg liegt klar vor dir - töte deinen alten Meister, befreie dich für immer von seinem Einfluss, und nimm der Hölle ihren Herrscher!

Natürlich, damit es Belial wieder wird? Oder soll ich es doch selbst machen? Vergiss es doch einfach, Baal.
"Behalte ihn, Dorelem. Im Würfel ist er sicher, aber ich kann dir Bescheid geben, wenn ich dich brauche."
"Das ist ja meine Sorge. Hör zu, Luzifer. Ich sage es noch einmal: ich werde nicht für die Hölle kämpfen. Ich werde es mir auch sehr schwer überlegen, ob ich dir einen Gefallen tun kann, egal wie klein, solange Belial dir vergiftete Worte einflüstern kann. Du hast nebenbei völlig Recht: Die Menschheit sollte frei sein vom Einfluss der Himmels. Und der Hölle. Wir kommen ohne euch zurecht.
Vielleicht kannst du irgendwann tatsächlich daran arbeiten, dass diese endgültige Befreiung - von euch beiden - stattfindet. Bis dahin, es ist ... schön zu sehen, dass du zumindest noch existierst. Die Art der Existenz hingegen ... ich würde es meinem schlimmsten Feind nicht wünschen. Und noch weniger meinem ehemals besten Freund.
Es tut mir wirklich Leid. Meine allergrößte Hoffnung ist es, dass wenn wir uns wieder sehen, du immer noch jemand bist, den ich als den Menschen erkenne, der mir einst ermöglicht hat, meinen Weg zu gehen.
Bis dahin, viel Glück. Auch dir, Natalya."
Luzifers Hand schießt vor. "Warte!"
"Du weißt ja, wo die Höllenschmiede ist. Auf ... Wiedersehen."
Ich werfe Baals Seelenstein durch das Portal, das dahinter sofort verschwindet.
Lixt lässt einen lang angehaltenen Atemstoß frei. "Immerhin sind wir das Ding los. Und jetzt?"
"Wie ich gesagt habe - die Menschheit muss ihren eigenen Weg zur Freiheit finden, und wir werden mit allen Kräften daran arbeiten, dass sie geeint und stark genug ist, falls von oben oder unten jemand etwas dagegen hat."
"Denkst du, er kann es schaffen?", flüstert sie.
Ich bin lange still, und bleibe es auch noch etwas, nachdem sie mich umarmt. Langsam streiche ich ihr durch die Haare.
"Er hat sich schon einmal verloren und wiedergefunden. Wenn einer im Angesicht der Hölle er selbst bleiben kann, dann Purasol", erkläre ich schließlich.
Warum muss das Leben immer noch komplizierter werden?
"Und wenn jemand die Menschheit - jeden Teil von ihr! - in die Freiheit führen kann, dann du!", strahlt Lixt.
"Wir", lächle ich.
Eigentlich ist es doch gar nicht so schwierig.


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